Arbeit von Alex Gahr © Alex Gahr

Oft fragen mich Leute, ob mir die Architektur fehle. Ich frage dann, wie sie darauf kämen, dass ich keine Architektur mehr betreibe. Ich entwickle Entwürfe, baue Modelle, zeichne Pläne, schlage mich mit Budgets herum, unterliege den Gesetzen der Statik, muss mich an Normen halten, ärgere TechnikerInnen, bewege mich durch Montagehallen oder diskutiere mit SchlosserInnen über Profilstärken. Mantraartig wiederhole ich: Ich bin ArchitektIn. Ich mache Architektur – hauptsächlich träume ich aber. Stets auf der Suche nach Räumen und Objekten, die niemand so richtig braucht.


Im klassischen Architekturentwurf ist der Umgang mit dem Kontext entscheidend. Das gilt gleichermaßen für den Bühnenraum: Texte, Figuren, gedachte Szenerie, technische Voraussetzungen und viele weitere Parameter spannen mir ein Spielfeld auf. Als ArchitektIn ergänze ich Bühnen oder baue sie um. Den Begriff der Dekoration lehne ich ab. Szenografie ist Architektur für Ungeduldige. Während ArchitektInnen oft Jahre an einem Haus arbeiten, können Bühnenbilder in wenigen Monaten umgesetzt werden. Und das Beste: Sie verschwinden nach der Vorstellung wieder. Die Konsequenzen sind kurzfristig. Die Existenz eines Gebäudes hingegen muss jahrzehntelang ertragen werden.

Im Theater gibt es keine „Schlechtwetterschicht“. Auf meinen Bühnen regnet es nur, wenn ich es will. Nebel, Wind und Schnee können künstlich erzeugt werden. Gleiches gilt für das Licht. Während im klassischen Bau die Sonne über unsere Gebäude bestimmt, stehen uns auf der Bühne hunderte elektrische Sonnen in allen Farben zur Verfügung. Theater ist interdisziplinärer Teamsport. Einerseits wird szenografische Praxis von der Auseinandersetzung mit anderen künstlerischen Positionen geprägt. Von Regie, Kostümbild, Choreographie oder Darstellenden.

Andererseits gehören strenge Normen, Logistik, Arbeitssicherheit, leichte Konstruktion und schmale Budgets zu den Herausforderungen der Bühnengestaltung. In diesem Spannungsfeld entsteht stets Reibung – im allerbesten Fall ist diese konstruktiv. Architekturschaffende betonen oft, keine KünstlerInnen zu sein. Ich hingegen schätze den Begriff „KünstlerIn“ sehr. Er gibt mir Bewegungsfreiheit. Er gibt mir Luft zum Atmen. Meine Bewunderung gilt denjenigen, die unter großen Anstrengungen das Nutzlose erobern. Mensch denke nur an die Werke von Jeanne-Claude und Christo. Die Nutzlosigkeit ist ein Leuchtturm in einer von Effizienz getriebenen Gesellschaft. Szenografie ist räumliche, kontextuelle und konzeptuelle Intervention. Für mich bedeutet das Architektur. Danach strebe ich.


 

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