Anton Schweighofer, 1930-2019
Am 20. Dezember 2019 starb Architekt Anton Schweighofer 89-jährig in Wien. Der Holzmeister-Schüler lehrte 1977-1999 einflussreich an der Technischen Universität in Wien und prägte nachhaltig unser Bild einer sozial orientierten Architektur. Ein Nachruf von Otto Kapfinger.
Der große niederländische Architekt und Humanist Aldo Van Eyck, mit dem Anton Schweighofer seit 1959 bekannt und auch befreundet war, formulierte einmal: „Cities can only be human if they are also designed for children. If they are not meant for children, they are not meant for citizens either. If they are not meant for citizens – ourselves – they are not cities. A house is like a small city, if it´s to be a real house – a city is a large house, if it´s to be a real city.“
Solche Sätze treffen auch präzise die Qualitäten, die wir im Werk von Anton Schweighofer finden konnten: Ob bei seinen Kindergärten, Wohnanlagen, Krankenhäusern, Bildungsbauten, Altenheimen – sein Ansatz basierte immer auf den verhaltenspsychologisch kleinsten bzw. adäquaten Einheiten, ausgehend vom gegenseitigen Raumgeben in einer individuellen Begegnung, in einer informellen oder konkreten Dialogsituation. Im Gegensatz zu der an maschinellen Abläufen orientierten Reihung von „Flächen-Minimierungen“ des orthodoxen Funktionalismus war dies eine anthropozentrische, raumgerichtete Methode, entwickelt aus der Spannung des einfachen Gegenübers über die offene Handlungsmitte kleiner Gruppensituationen – bis zu den öffentliche Platzräume fassenden Clustern großer Baugruppierungen.
Schweighofers Bauprinzip war das Muster „Raum im Raum im Raum im Raum“ – wie bei den Russischen Puppen – und nicht nur horizontal gedacht, sondern in der dritten Dimension, vertikal-räumlich: Stadt als Haus, Haus als Stadt, Haus als Weg und Platz (das Motto von Josef Frank), Wohnung als Haus-Körper mit Zellen, Wegen, Übergängen, Plätzen, Licht auch von oben...
Vom Kleinen bis zum Großen bot und bietet Schweighofers Architektur stets potentielle Räume der handelnden, kommunizierenden Gemeinschaft – durch gestaltete „Gemeinschaft der Räume“. Er pflegte eine auf die Aktionsmuster des Individuellen bzw. der Gruppen gerichtete Baukunst – eine handlungsorientierte, das Zueinander nicht im Zwang, sondern in Freiheit fördernde Raumstrategie, die das Einzelne sorgsam sichert und es in dosierte, leicht konkretisierbare Beziehung zu größeren Einheiten setzt.
Sein „SOS Kinderdorf in Indien“ hatte Einzelhäuser aus lokalem Stein für je neun Kinder und ihre Betreuerin, mit Raumzellen um einen Spiel-Ess-Kochbereich, der sich zum gemeinsamen Innenhof hin öffnet, der seinerseits als gegliederte, mit Bäumen beschattete Mitte und Spielhof von den fünf Häusern gerahmt ist.
Die „Stadt des Kindes“ am Wiener Stadtrand – vor Jahren leider geschlossen und nur mehr in Fragmenten existent – hatte mehrgeschossige, weite Treppen ummantelnde Hausblöcke, und gruppierte diese um eine interne Straße mit kollektiven und öffentlichen Raumfunktionen: es war ein komplettes, urbanes Universum en miniature.
Das „Krankenhaus in Zwettl“ entstand aus der damals und heute revolutionären Auffassung, eine optimal-minimale Anzahl von „Betten“ mit direktem Tageslicht, mit Sicht- und Austrittsmöglichkeit ins Freie zu schaffen – jeweils gruppiert um einen zentralen Verteiler-Vorraum: Je 18 solcher Betten, in je vier Räumen immer gleichrangig zueinander gerichtet, nicht wie üblich nebeneinander aufgereiht, bilden dort jeweils einen Pavillon – und vier solcher Pavillons umfassen dann wie ein Stern einen Patz als öffentliche Mitte des Schwesternstützpunkts und des Aufenthaltsbereiches. Und zwei solcher Stationen flankieren schließlich am Dach einen Freiluft-Hof mit weitem Ausblick über Stadt und Landschaft.
Bei einem großen „Mietwohnhaus in Berlin“ gestaltete er Flur und Stiegenhaus als polyvalente Halle. Sie bietet als Verlängerung der Wohnbereiche ein kommunikatives Hauszentrum, das mit den Wohnungen durch Fenster und überbreite Podestflächen in optischer und funktionaler Beziehung steht. Wie das Stiegenhaus zum ganzen Bau, so verhält sich dort im nächsten Maßstab jeweils die Küche zur Wohnung, bildet dort als „Werkstattküche“ das vielfältig nutzbare, offene Zentrum der übrigen Raumteile...
Es gibt Architektur, deren Schönheit sich primär in sich selbst darstellt; sie ist gegenüber dem Gebrauch eher misstrauisch; das meiste, was die Leute darin und damit tun, stört ihre Harmonie – wir denken an das bekannte Wort von Adolf Loos über die perfekten Villen von Hoffmann. Und es gibt Architektur, die den Gebrauch eindeutig liebt, auch den unordentlichen – eine Baukunst, deren Schönheit nicht allein im Objekthaften liegt, sondern im erfahrenen und genutzten Raum – und in dem Ausmaß, in dem der Raum körperliche und soziale Ereignisse stimulieren kann, begünstigen kann, zulassen kann.
Bruno Taut sagte: „Wie die Räume ohne Menschen aussehen, ist gleichgültig. Wichtig ist, wie die Menschen darin aussehen.“ Wie über zwei weitere Geistesverwandte – Ottokar Uhl und Herbert Muck – kann auch über die architektonische Haltung Anton Schweighofers in diesem Sinn gesagt werden: „Räume, Formen bedeuten das, was in Bezug auf sie gemacht werden kann. Die Ästhetik der wahren Moderne ist handlungsorientiert. Die Vorform, die Wirkungsform der Raumgestalt sind soziale Gestalten – jene Handlungsmuster von Gruppen oder Einzelnen, welche Räume und Raumfolgen strukturieren, bedeutsam machen.“
Man hat Schweighofer den „Stillen Radikalen“ genannt. Radikal war er, weil er immer an die Radix ging, an die Wurzel, an die soziale Wurzel jeder Bauaufgabe; und still war seine Baukunst nur insofern, als sie nicht laut nur von sich selbst sprach und spricht, sondern die Menschen eher anregt, im Raum selbst zu sprechen, sich einzurichten. Bei all dem gab Schweighofer aber die gestalterischen Zügel nicht aus der Hand, im Gegenteil, er schuf die soziale Dimension, die Berührbarkeit und Freiheit seiner Räume mittels der rationalen Sinnlichkeit ihrer Formgebung. Und wie bewältigte er dieses Paradoxon – einerseits Freiheit, Zwanglosigkeit zu eröffnen, andererseits doch die klar dosierte, geformte Präsenz der Baustruktur? Es lag wohl, wie er selbst oft anmerkte, daran, dass er jeden Raum im Grunde als eine „Werkstatt“ verstand – ob Wohnraum, Küche, Kindergarten, Hörsaal, Festsaal, Pflegeraum.
Wir haben anfangs von Van Eyck gehört: bei ihm ist es doch so, dass mehr denn je sein Frühwerk fasziniert und heute als Maßstab wiederentdeckt wird. Bei Schweighofer ist es anders, er suchte und fand besonders in seinem „Spätwerk“ den Kraftschluss mit dem ganz Gegenwärtigen, er ging da nochmals in eine neue Dimension, wurde noch „radikaler“ – nehmen wir nur das Projekt für die „Arktis-Station“, das „Studentenheim“ und das „Geriatriezentrum“ in Wien, nicht zuletzt sein eigenes „Haus in Wördern“, ein Turmhaus in Holz als Summe seiner Bau- und Lebenserfahrung, und sein visionäres Wettbewerbsprojekt für die Landeshauptsstadt St. Pölten...
Die Architekturszene Österreichs verliert mit Anton Schweighofer nicht nur einen bedeutenden Architekten, sondern einen herausragenden, auch international geschätzten und geehrten Universitätslehrer, und einen in vielen öffentlichen Gremien, Jurien und Beiräten aktiven Proponenten sozialer Baukultur – als Inspiration und Werkzeug, als Spiegel und Bühne der Emanzipierung, der Humanisierung der Gesellschaft.