Gestärkt aus der Krise herausgehen

Covid-Blog #3

Jacques Ferrier Architecture, Chartier Dalix, SLA Architects, Multi-Layered City in Holzbau (c) pro Holz, Ferrier, Splann

Im dritten Teil unseres Covid-Blogs gehen wir der Frage nach, welche Rolle die öffentliche Hand bei der Krisenbewältigung spielen kann und welche Chancen sich jetzt für eine intelligente, grüne Re-Industrialisierung Österreichs ergeben.


 

Noch halten sich alle wesentlichen Player bedeckt – bei den Größen der österreichischen Immobilienwirtschaft herrscht vornehmes Schweigen zur aktuellen Lage. Von der Signa-Gruppe etwa hörte man zuletzt vor allem bezüglich ihres Kaufhaus-Portfolios in Deutschland, das mit der Schließung der Verkaufsflächen arg unter Druck geraten ist. Die Signa ist gleich doppelt betroffen: Als Immobilieninvestor, weil ihr die Immobilien gehören, in denen die Kaufhausbetriebe Miete zahlen sollten, und als Kaufhausbetreiber, der derzeit nichts verkaufen und daher auch keine Miete an den Hausherren zahlen kann. Sollte die Konsumlust der Leute nach der Wiederöffnung des Handels im Mai nicht rapide anspringen und das Vor-Corona-Niveau erreichen oder übertreffen, dann erweist sich der Mix aus Handel und Immobilien als wenig krisenfestes Geschäftsmodell. Dazu kämen bei der Signa und einigen anderen Developern dann auch noch das Luxus-Segment und die Büroimmobilien, die beide ebenfalls Dellen hinnehmen werden müssen:

Kommen Luxusimmobilien jetzt unter Druck (c) pixabay interior-3778708_1920

Kommen Luxusimmobilien jetzt unter Druck? (c) pixabay interior-3778708_1920

Die global reduzierte Mobilität wird weniger internationale Käufer für Luxuswohnungen nach Wien locken (die meisten potentiellen österreichischen Privatinvestoren sind bezüglich eines Wiener pied-à-terre vermutlich bereits gut versorgt) und der aktuelle Home-Office-Hype samt permanenten Videokonferenzen (der neue Volkssport) wird viele Unternehmen zu Überlegung verführen, dass ihre teuer angemieteten Büroflächen eigentlich schadlos reduziert werden können, wenn ein Teil der Arbeit mit Zustimmung der MitarbeiterInnen nach Hause ausgelagert werden kann. – Eine interessante Kombination an Risikofaktoren wäre übrigens jene aus Luxus, Handel und Nebenwohnsitzen, bei der nach dem ehernen Gesetz der Immobilienwirtschaft (Lage, Lage, Lage) wohl nur jene Projekte gut über die Krise kommen werden, die dieses Dreifachrisiko mit dem Dreifach-Asset einer perfekten Lage kompensieren können – etwa das berühmte „Goldene Quartier“ der Signa in Wien. Beruhigend ist aber, dass das Luxussegment insgesamt klein ist und nicht über das Wohl und Wehe der gesamten Bau- und Planungsbranche entscheiden wird.

Drei Innovationsbereiche, die aus der Krise eine enorme Entwicklungschance machen und jetzt unbedingt, rasch und profund genutzt werden müssen: Grüne Mobilisierung, bauliche Hybridisierung und grüne Re-Industrialisierung.

 

Mit dem Neubau- und Umbauvolumen von Handels- und Büroimmobilien setzte die österreichische Bauindustrie 2018 jedoch satte 5,5 Mrd. Euro um, was immerhin 16 Prozent der gesamten Hochbauleistung entspricht oder rund 13 Prozent des gesamten nationalen Bauvolumens, in der auch der Tiefbau (Infrastruktur) enthalten ist, auf den weiter unten eingegangen wird. Addiert man dann auch noch zum reinen Bauvolumen die Planungsleistungen und Umsatzsteigerungen, die mit diesen nunmehr vermutlich stark reduzierten Neubauprojekten möglich wären, dann entsteht der Volkswirtschaft potentiell alleine schon aus den beiden Krisensektoren Handel und Büro ein erklecklicher Schaden. Wie hoch er für 2020 bei der gesamten Bauwirtschaft liegen wird, steht noch in den Sternen – wenn er etwa bei den derzeit (Mitte April 2020) vom IHS prophezeiten minus sieben Prozent des BIP liegt, dann wären das – basierend auf den Zahlen von 2018 – immerhin gute 1,5 Milliarden Euro (vom Bauindustrie-Anteil am BIP).

Es wird darauf ankommen, wie viel vom derzeit 38 Milliarden Euro schweren Nothilfepaket der österreichischen Bundesregierung für die Bauwirtschaft abfallen wird und wie viel davon nachhaltig wirksame Investitionen ermöglicht, statt bloß aktuelle Umsatzausfälle zu kompensieren. Ausfälle von Umsätzen nämlich, die bei den bestehenden Geschäftsmodellen so vielleicht nie wieder kommen werden – siehe Massentourismus und eben Büroneubau. Wenn die von der Bunderegierung geplanten 9 Mrd. für Garantien und Haftungen, 15 Mrd. als Notfallhilfe für Branchen, die es besonders hart trifft, sowie 10 Mrd. für Steuerstundungen und Steuersenkungen aliquot auf die rund 6 Prozent BIP-Anteil der Bauwirtschaft heruntergebrochen werden, dann wären das immerhin rund 2,2 Milliarden Euro, von denen wiederum fast eine Milliarde reine „Notfallhilfe“ wäre. Der aktuell zu erwartende unmittelbare Schaden (von den längerfristigen Perspektiven ist unten die Rede) wäre also für die Bauwirtschaft mit den versprochenen Maßnahmen nur halbwegs bewältigbar. Doch wie wird es weitergehen?

Rüdiger Lainer et al., Hoho -- Das Wiener Holzhochhaus in der Seestadt Aspern (c) cetus-Baudevelopment-u-kito-at

Rüdiger Lainer et al., Hoho -- Das Wiener Holzhochhaus in der Seestadt Aspern (c) cetus-Baudevelopment-u-kito-at

Jetzt haben wir die Chance, das gesamte Bauwesen und alle damit verbundenen Branchen sozusagen auf eine neue Geschäftsgrundlage zu stellen und mit neuen Tools auszustatten, um sie wesentlich resilienter zu machen als sie es derzeit sind.

Beim Wohnbau, der ja gleich die Hälfte der gesamten Hochbauleistung im Lande liefert, wird es eine klare Investitions-Hierarchie geben: die kleine Spitze der Luxusimmobilien wird, wie oben gesagt, ein wenig unter Druck geraten, während in der Mittelklasse beim frei finanzierten Wohnbau nun „die Banken der limitierende Faktor sind“, wie Michael Klement, Geschäftsführer des Immo-Entwicklers „Invester“, am 4. April dem Wiener „Kurier“ sagte. Banken müssen derzeit natürlich bei den Finanzierungen vorsichtig sein – andererseits ist ja nun wieder Helikoptergeld der EZB in Sicht, was den Vorsichts-Bremseffekt der Banken ausgleichen und den frei finanzierten Wohnbau in relativ sichere Gewässer führen könnte.

Relativ auf der sicheren Seite ist der geförderte Wohnbau, weil er ja eben via Wohnbauförderung mit Steuergeld gestützt wird und weil das derzeit mäßige, aber immer noch konstante Bevölkerungswachstum weiteren Bedarf mit weitgehender Berechenbarkeit schafft. Der entscheidende Punkt ist jedoch die Steuerung der öffentlichen Unterstützungen in Richtung nachhaltige, regional wertschöpfende und zukunftsfeste Bauinvestitionen. Und da kommen der Tiefbau (2018 erwirtschaftete der Bau von Infrastrukturen mit achteinhalb Milliarden rund ein Fünftel der gesamten Bauleistung im Land) und bestimmte innovative Bereiche der Bauindustrie ins Spiel, besonders die Holzbausysteme. Hier lohnt sich das erzwungene Innehalten und Nachdenken, denn jetzt haben wir die Chance, das gesamte Bauwesen und alle damit verbundenen Branchen sozusagen auf eine neue Geschäftsgrundlage zu stellen und mit neuen Tools auszustatten, um sie wesentlich resilienter zu machen als sie es derzeit sind. Wohin die Reise gehen wird, hat Leonore Gewessler in einem Interview am 16. April angedeutet. Praktischerweise sind im Ressort der österreichischen Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gleich mehrere Schlüsselbereiche gebündelt, die den Weg nicht nur aus der Coronakrise weisen, sondern möglicherweise auch aus der Klimakrise, die ja anerkanntermaßen die „Mutterkrise“ der aktuellen Pandemie ist, weil diese sich unter ihren typischen Bedingungen entwickelte.

Co-Working im Hoho Wien-Aspern (c) cetus-Baudevelopment-und-cy-architecture_final_Web-klein

Co-Working im Hoho Wien-Aspern (c) cetus-Baudevelopment-und-cy-architecture_final_Web-klein

Ministerin Gewessler sprach mit der Bahninfrastruktur einen der entscheidenden drei Innovationsbereiche an, die aus der Krise eine enorme Entwicklungschance machen, die jetzt unbedingt, rasch und profund genutzt werden muss: Grüne Mobilisierung, bauliche Hybridisierung und grüne Re-Industrialisierung.

Die private und öffentliche, individuelle und kollektive grüne Mobilisierung bietet mit neuen Mobilitätstechnologien, massiv ausgebauten öffentlichen Verkehrsmitteln und davon stimulierten Entflechtungschancen zwischen Stadt und Land ein riesiges Entwicklungs-, Innovations- und Investitionspotential. Gewessler: „Der Ausbau der erneuerbaren Energie oder der Bahninfrastruktur schafft sichere Arbeitsplätze und gleichzeitig eine lebenswerte Zukunft. Diese Maßnahmen braucht es angesichts der 600.00 Arbeitslosen. So könnten wir sogar gestärkt aus der Krise herausgehen. Dazu müssen wir Maßnahmen im Klimaschutz vielleicht auch vorziehen, weil sie nächste Investitionen auslösen. Zum Beispiel der Bahninfrastrukturausbau – immerhin ist die Baubranche stark getroffen.“ Hier kommt also der Tiefbau ins Spiel – die Relevanz dieses Bereichs haben wir von architektur.aktuell schon vor Monaten erkannt und unser Aprilheft 2020 neuen Bahnhöfen gewidmet. Der bauwirtschaftliche Aspekt der grünen Mobilisierung ist aber nur ein Teil des Gesamteffekts, der sich vor allem auf die Industrie positiv auswirken wird, indem elektrische und Wasserstoff-Antriebssysteme entwickelt und flächendeckend ausgerollt werden. Hätten wir das nicht schon vor Corona gewußt, dann wäre es spätestens jetzt offensichtlich.

Zechner Zechner, Bahnhof Wien-Aspern Nord (c) pierer

Zechner Zechner, Bahnhof Wien-Aspern Nord (c) pierer

Die beiden anderen entscheidenden Innovationsbereiche der Baukultur – nämlich die bauliche Hybridisierung und grüne Re-Industrialisierung – können ebenfalls vom Staat massiv beeinflusst und gesteuert werden. Die Instrumentarien dazu sind bekannt: Ihr Spektrum reicht von Belastungen mittels Besteuerung unerwünschter Technologien und Geschäftsmodelle bis zum „Nudging“, also zu Ermunterung und positiven Stimulation eines erwünschten Verhaltens durch Belohnung reicht. Natürlich ist der zweiten Variante der Vorzug gegenüber der ersten zu geben – die Wende zu einer resilienten Baustrategie muss aber auf jeden Fall erfolgen. In kaum einem Wirtschaftsbereich ist das so offensichtlich wie in der aktuellen Diskrepanz zwischen monofunktionalen und multifunktionalen Bautypen. Angesichts der Digitalisierung und des Versandhandels (das Vermögen von Amazon-Boss Jeff Bezos hat sich in den letzten Wochen um mehrere Milliarden Dollar erhöht) brauchen wir nicht mehr Flächen für Handel und Büro, sondern weniger. Aber wir brauchen definitiv mehr multifunktionalen Wohnraum, der auch Flächen für Arbeit, Freizeit und Einkauf im gleichen Haus oder in unmittelbarer Nähe bietet. Wir brauchen qualitätsvolle öffentliche Räume für alle und wir brauchen effiziente Infrastrukturen, die eine grüne Mobilität ermöglichen, was wiederum den Warenverkehr und Versandhandel ökologisch entschärft, aber ökonomisch stimuliert. Die aktuelle österreichische Bundesregierung hat ja durch ihre Zusammensetzung aus ökonomischer und ökologischer Kompetenz alle Tools für eine resiliente und nachhaltige Entwicklung in der Hand und muss sie nur konsequent nutzen. Wirtschaft und Umwelt sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Das zeigt sich auch beim Mega-Projekt der grünen Re-Industrialisierung. Wenn die Coronakrise etwas Gutes hat, dann, dass sie gezeigt hat, dass die Globalisierung an ihr Grenzen gestoßen ist – nämlich an die Grenzen potentieller Gemeingefährlichkeit. Glücklicherweise ist die De-Industrialisierung in Österreich noch nicht so weit fortgeschritten, dass wir keine Strukturen mehr hätten, auf denen wir aufbauen können. Und glücklicherweise verfügen wir über viele natürliche Ressourcen im Land, die mit einer intelligenten und grünen neuen Industrie umweltfreundlich gehoben und breit für eine nachhaltige Entwicklung nutzbar gemacht werden können. Und on top of that: Dieser Prozess kann von der Politik über Regulierungen (zB Bauordnungen) sowie Förderkriterien sehr direkt beeinflusst und gesteuert werden – es gibt also kaum Ausreden, warum das nicht gehen sollte. Paradebeispiel Holzbau: Wir haben mehr als genug nachwachsende Wälder, also theoretisch unendlich viel Rohstoff für diese Bauweise. Sie ist mittlerweile durch Hybridisierung und Digitalisierung, durch maßgeschneiderte Vorfertigung und durch Modulsysteme bereits derart fortgeschritten, dass sie praktisch alle Bauaufgaben perfekt lösen kann. Vorarlberg, Tirol, die Steiermark haben Zimmereien und Hi-Tech-Holzbauwerke, die das alles jetzt schon können und ganz Europa etwa mit Holzmodulen beliefern. Das Preisargument, das derzeit noch oft gegen einen Holzbau spricht, wäre durch massenhaften Ausbau der Produktion, damit Senkung der Stückkosten, sowie durch die oben erwähnten Regulierungen und Förderkriterien spielend leicht aufzuwiegen.

NKBAK, Schule Frankfurt-Riedberg, mit Holzbaumodulen von Kaufmann Bausysteme (c) Th. Mayer

NKBAK, Schule Frankfurt-Riedberg, mit Holzbaumodulen von Kaufmann Bausysteme (c) Th. Mayer

Wenn wir es also schaffen, einen multifunktionalen, grünen Städtebau, hybride Bautypen, grüne Infrastruktur und grüne Mobilität zu etablieren und dabei auch noch nachhaltig eine neue, digitalisierte und grüne Industrie aufzubauen (idealerweise nicht nur im Bausektor), dann wäre der gefährliche Globalisierungspeak überschritten, die Trendwende in Richtung Resilienz geschafft, das Land unabhängiger und die aktuelle Krise schon so gut wie bewältigt.

J.P.Viguier, hyperion-Tower, Bordeaux, 2021 (c) proHolz Viguier

J.P.Viguier, hyperion-Tower, Bordeaux, 2021 (c) proHolz Viguier

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