Die vernakuläre Architektur der Protestkulturen
Wann wird ein Schlafplatz zum Wohnraum? Ab wann nennt man ihn ein Zuhause? Und wie wird Gemeinschaft in einer temporären Umgebung gelebt?
Die Ausstellung „PROTEST/ARCHITEKTUR. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ von 14.2. bis 25.8.2024 im Wiener MAK – Museum für angewandte Kunst eröffnet anhand einer architektonischen Auseinandersetzung mit Protestarchitekturen tiefe Einblicke in Wohnalltag, Lebensweisen und soziale Dynamiken innerhalb von Protestcamps weltweit.
Protestarchitektur umfasst die räumlichen Aspekte von Protestbewegungen. Ihr Charakter ist stark von einem Mangel an Mitteln sowie einer sehr einfachen und meist ephemeren Bauweise geprägt. Wohnen wird ein Mittel zum Zweck und auf seine Grundbestandteile reduziert: Schutz vor Kälte und Witterung, Hygiene sowie ein Rückzugsort. Die unvorhersehbare Dauer von Protestcamps spielt dabei eine essenzielle Rolle.
Zu Beginn reicht ein Wohnen in rudimentärster Form – man lebt provisorisch, versucht dies allerdings so menschenwürdig wie möglich zu gestalten. Je länger der Erfolg der Besetzung anhält, umso mehr Energie investiert man, um sich häuslich einzurichten. Erst wenn aus einer temporären Ausnahmesituation ein Dauerzustand wird, entwickelt sich aus einem Schlafplatz ein Zuhause.
Dabei lässt sich Protestarchitektur als vernakuläre Architektur bezeichnen, orientiert sie sich doch stark an den Gegebenheiten des Standortes, den vorhandenen Materialien sowie den individuellen Fähigkeiten der Bauenden selbst. Diese Eigenermächtigung des Individuums macht mitunter auch den Reiz der einfachen Konstruktionen für die AkteurInnen der Protestbewegungen aus. AktivistInnen der Protestbewegung Hambacher Wald beschreiben es wie folgt: „Alle Menschen der Bewegung sind unterschiedlich und kommen mit eigenen Fähigkeiten und Wissen ins Camp. Wer etwas bauen möchte, tut es einfach. Man übernimmt die Verantwortung für das eigene Leben und Handeln.“
Dabei sind Besetzungen oft nicht nur ein Mittel zum Zweck, um gegen ein bestimmtes politisches Vorgehen zu protestieren, sondern oft auch als Protest an Gesellschaftsformen an sich zu verstehen. „Wo fangen Aktivismus und Raumaneignung an? Es ist nicht erst der Bau einer Protestarchitektur, auch der Raum, den man mit dem eigenen Körper einnimmt, ist Aktivismus. Der Raum selbst ist die Protestform.“
Sie möchten weiterlesen? Dieser Beitrag ist Teil unserer Ausgabe 4/2024. Der Volltext ist ab Seite 34 zu finden.