Interview mit Yasmeen Lari

Ein Œuvre für die Menschheit

Pakistan Chulah von Yasmeen Lari © Archive Yasmeen Lari

Yasmeen Lari, die erste Architektin Pakistans, erhielt den inoffiziellen Titel „Architektin für die Ärmsten der Armen“, den sie mit Stolz trägt. Ihre Arbeit geht über das reine Entwerfen hinaus und verankert die Architektur dort, wo sie am meisten gebraucht wird: bei den Menschen. Angelika Fitz und Elke Krasny vom Architekturzentrum Wien starteten die Aufarbeitung von über 50 Jahren humanitärem und architekturellem Schaffen der Architektin und machen dieses in Form einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien und der ausführlichen Begleitpublikation „Yasmeen Lari. Architecture for the Future“ der Öffentlichkeit zugänglich.


Wie wirken Ihr pakistanisches Erbe und Ihre britische Ausbildung in Ihrem Designprozess zusammen?

[Yasmeen Lari]: Die britische Ausbildung hat mir einen ausgeprägten Sinn für Design vermittelt und mich auf architektonische Feldarbeit und Verhandlungen vorbereitet. Das hat mir insbesondere bei der sehr komplexen Arbeit mit sozialen Gemeinschaften geholfen. Doch als ich in mein Heimatland zurückkehrte, folgte ein Prozess des Neu-Lernens.

Ich fand in Pakistan eine völlig andere Realität vor. In Großbritannien haben wir nie über Armut, benachteiligte Gesellschaften, Modernisierung oder Ungleichheiten gesprochen. Das waren keine Themen, die jemals in der Interaktion mit den Lehrenden oder anderen Studierenden aufkamen. In meiner Kindheit sowie meiner Zeit als Studentin war ich von der Realität meines Heimatlands weit entfernt. Als ich Pakistan verließ, um in England zu studieren, war ich noch sehr jung. Da mein Vater während der britischen Herrschaft ein hochrangiger Beamter gewesen ist und Pakistan gerade erst seine Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte, wuchs ich mit dem Konzept eines kulturell überlegenen Westens auf. Ich brauchte einige Zeit, um zu erkennen, dass dies nicht der Fall ist. Glücklicherweise war mein Mann, der in Oxford Politik, Philosophie und Wirtschaft studiert hatte, auch ein begeisterter Fotograf.

Als wir nach Pakistan zurückehrten, gingen wir viel in Pakistans Altstädten spazieren, und je mehr ich mein Erbe studierte, desto mehr faszinierte es mich. Ich musste eine Menge über mein eigenes Land lernen. Erst viel später realisierte ich, wie viel Ungerechtigkeit es in meinem Land gab, und ich musste einfach etwas dagegen tun.


Lari House, Karachi © Archive Yasmeen Lari

Yasmeen Laris eigenes Zuhause gilt als Ikone des Brutalismus.
© Archive Yasmeen Lari

Was halten Sie von dem Begriff „soziale Materialien“? Und mussten Sie dafür kämpfen, dass bestimmte kohlenstoffarme Materialien wie Bambus, Kalk oder Lehm für Ihre Projekte verwendet werden?

[Yasmeen Lari]: Wie auch überall sonst auf der Welt kümmern sich auch in meinem Land die Wohlhabenden nicht um die Armen. Als ich anfing, für die Armen zu arbeiten, interessierte das die meisten meiner Mitmenschen überhaupt nicht. Ich hatte also freie Hand. Ich habe bestimmte Materialien eingesetzt, und die benachteiligten Bevölkerungsgruppen haben sie angenommen. Anfangs wurde mir von internationalen humanitären Organisationen gesagt, dass „niemand ein Bambusdach oder eine Lehmwand möchte – sie wollen jetzt alle Ziegelwände und Beton“. Ich war anderer Meinung. Also bauten wir unser erstes Haus mit Lehmwänden und Bambusdach, und die Leute sagten: „Das ist ein Bambusdach, das wird zusammenbrechen!“ Wir entgegneten: „Ok, dann klettert auf das Dach!“ – und natürlich hielt das Dach. Plötzlich wurde geklatscht, und das Dach wurde akzeptiert. So wurde es zu einer Art Ritual: Jedes Mal, wenn ein Haus fertiggestellt wurde, mussten die Leute hinaufklettern und das Dach überprüfen. Dann wurde geklatscht und damit war die Sache erledigt. Man muss beweisen, dass es funktioniert, und wenn es bewiesen ist, dann wird es auch akzeptiert.

Welche Aspekte sind für Sie bei der Auswahl der Materialien wichtig?

[Yasmeen Lari]: Wenn mir für meine Arbeit begrenzte Mittel zur Verfügung standen, wusste ich, dass alles so kostengünstig wie möglich gestaltet werden muss. Ich musste mir erschwingliche Alternativen einfallen lassen, und bestimmte Materialien waren die einzigen, die die Kriterien erfüllten. In gewisser Weise bin ich über sie gestolpert. Ich fürchte, ich arbeite nach Intuition, ich bin kein sehr logischer Mensch. Wenn ich in meinem Herzen fühle, dass ich etwas tun muss, dann mache ich es und hoffe, dass es die richtige Entscheidung ist. Ich muss bestimmten Prinzipien und Werten folgen und sicherstellen, dass ich nicht absichtlich etwas mache, was anderen Menschen schaden könnte, nicht zuletzt dem Planeten. Ich kann keine Gründe nennen, warum ich begonnen habe, bestimmte Materialien zu verwenden, es fühlte sich einfach richtig an, also tat ich es...

Das ganze interview


Die 1941 in Dera Ghazi Khan geborene Yasmeen Lari wuchs im heutigen Pakistan auf. Für ihr Architekturstudium, das sie 1963 an der Oxford School of Architecture abschloss, zog sie in jungen Jahren nach Großbritannien. Sie ging in ihr Heimatland zurück und gründete bereits ein Jahr später, 1964, dort ihr eigenes Büro, Lari Associates. Ihre Rückkehr beschreibt sie als einen Prozess des Neu-Lernens ihres eigenen kulturellen Erbes und der Lebensrealität ihres Landes, der in der Co-Gründung der Heritage Foundation of Pakistan mündete. Neben ihrer beständigen Forschungsarbeit zu Pakistans kulturellem Erbe und traditioneller, vernakulärer Architektur setzte sie ab 1965 mehre Villen für pakistanische Privatpersonen um sowie ihr eigenes Haus, das Lari House in Karachi (1973), das international als Ikone des Brutalismus gilt. Mit den Wohnbauprojekten Naval Housing in Karachi und Angoori Bagh Housing in Lahore schaffte sie den Maßstabssprung und erweiterte ihr Portfolio um staatliche Aufträge. Ab den 1980er Jahren verwirklichte sie ikonische Projekte für den Unternehmenssektor in Karachi, allen voran das FTC – Finance and Trade Centre, das PSO House und die ABN Amro Bank.

Das verheerende Erdbeben, das 2005 Nordpakistan, Afghanistan und Nordindien erschütterte, brachte Yasmeen Lari zurück zu ihrer humanitären Arbeit. Sie setzte ihr Wissen über traditionelle und CO2- arme Bauweisen ein, um gegen drohende Delogierung und Wohnungslosigkeit in Katastrophengebieten anzukämpfen. Mit ihren Bemühungen, den betroffenen Menschen vor Ort das nötige Know-how für den Wiederaufbau ihrer zerstörten Heime mit lokalen, günstigen und CO2- armen Materialien zu geben, ermächtigt sie sie, sich selbst zu helfen und fördert nebenbei den Einsatz nachhaltiger Ressourcen. Yasmeen Lari erhielt kürzlich die „2023 RIBA Royal Gold Medal“.


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