Ehemalige ÖBB-Flächen in Jedlesee sind heute ein ansprechendes Wohngebiet

Eine Vision für Wien-Florasdorf

Städtebauliche Studie für den Bahnhof Jedlesee von Otto Häuselmayer Copyright: Otto Häuselmaye

Städtebau ist eine essenzielle, doch viel zu selten erwähnte Disziplin im weiten Tätigkeitsfeld der Architektur. Als Voraussetzung für jede weitere Hochbauplanung wird sie stillschweigend vorausgesetzt, dabei ist sie verantwortlich dafür, einzelne Bauvorhaben in einer ganzheitlichen Zusammenschau im Auge zu behalten, damit sich eine urbane Agglomeration auch gut entwickelt. Städtebau legt gleichermaßen die Rahmenbedingungen fest, wie ein Gebiet zu bebauen ist. Ein Masterplan schreibt vor, wie die Baumassen neuer Gebäude verteilt sein sollen, wo Straßenzüge und Wege zu verlaufen haben, ob es verkehrsberuhigte oder gar verkehrsfreie Bereiche, Begegnungszonen, gemeinsame Grünräume und ähnliches gibt. Besonders wichtig ist dabei, die angrenzenden Bezugsfelder und Nachbarschaften nicht aus den Augen zu verlieren, damit Neubaugebiete nicht wie Fremdkörper in ihrer Stadtumgebung wirken. Auf einem ehemaligen ÖBB-Gelände in Wien ist das nach einem Masterplan von Otto Häuselmayer tadellos gelungen.

Städtebauliche Studie für den Bahnhof Jedlesee von Otto Häuselmayer Copyright: Otto Häuselmaye

Städtebauliche Studie für den Bahnhof Jedlesee von Otto Häuselmayer  Copyright: Otto Häuselmayer

Otto Häuselmayer hat in puncto Städte- und Wohnbau bereits auf fast ein halbes Jahrhundert Erfahrung und viele erfolgreich realisierte Projekte zu verweisen. So plante er zwei wegweisend schöne, spirituell-ruhige, zeitgenössische Kirchen als sinnstiftende Zentren für damals brandneue Wohngebiete mit hunderten Wohnungen, Kindergarten und Schule: Die Kirche St. Emmaus am Wienerberg (1990-92) und St. Cyril und Method an der Brünner Straße (1994-95). Außerdem konzipierte er einige große Stadtentwicklungsgebiete wie beispielsweise Süssenbrunn. Insgesamt realisierte Otto Häuselmayer in diversen Siedlungen etwa 5.000 Wohnungen. Wesentliche Anliegen waren ihm dabei immer ein solider Städtebau, sowie zutiefst „klassische“ Architekturqualitäten wie beispielsweise ein menschlicher Maßstab in der Anlage. Bei der Planung der Wohnungen legte er Wert auf beidseitige Belichtung, Querdurchlüftung, schöne, ruhige Grundrisse, private Freiräume wie Loggien oder Balkone, unaufgeregte Fassaden und attraktive Erschliessungsflächen wie Stiegen und Laubengänge.

Städtebaulicher Entwurf für Florasdorf von Otto Häuselmayer

Städtebaulicher Entwurf für Florasdorf von Otto Häuselmayer

Eine seiner jüngsten, kürzlich umgesetzten Projekte ist die Quartiersentwicklung für „Florasdorf“, einer durchgrünten, verkehrsbefreiten Wohnanlage auf dem Gebiet des ehemaligen Bahnhofs Jedlesee. Seine Planungsgeschichte ist lang: Bereits 2003 erstellte Otto Häuselmayer ein Gutachterverfahren der MA 21B mit diesem Projekt.

Früher war diese ganze Gegend bestimmt von der Nordbahn, die bis nach Jedlesee fuhr. Sie war der Hauptzubringer nach Floridsdorf

Architekt Otto Häuselmayer

erinnert sich Häuselmayer. „Floridsdorf war DER Eisenbahnerbezirk von Wien. Dort, wo jetzt das Einkaufszentrum Nord ist, befanden sich die Lokomotivfabriken der Stadt Wien. Deren Qualität war so hoch, dass sie auch die Semmeringbahn mit Lokomotiven belieferten.“ Doch die Zeiten änderten sich: die ehemaligen Werkstätten wurden geschlossen, der Bahnhof abgesiedelt und dann abgerissen. Von der einstigen Eisenbahnerhochburg blieben bis heute Straßennamen – wie beispielsweise Koloniestraße entlang der einstigen Eisenbahner-Kolonie oder Lokomotivgasse – sowie die große Kleingartenanlage mit ihren rund fünfhundert Kleingartenlosen, deren kleine Häuschen in Gärten mehrfach von begeisterten Eisenbahnern und Eisenbahnerinnen liebevoll gepflegt werden. Im Jahr 2003 beschloss die ÖBB-Liegenschaftsverwaltung, die an die unantastbare grüne Oase im Norden und Süden anschließenden Grundstücke neu zu entwickeln. Otto Häuselmayer und Delugan Meissl Associated Architects erstellten je ein Gutachterverfahren, der Vorschlag von Häuselmayer setzte sich durch. 2012 wurde er in den Flächenwidmungsplan eingearbeitet, 2013 kam es zum Bauträgerauswahlverfahren.

Folgende Parameter charakterisieren das Areal: Die S22, eine stark befahrene, mehrspurige Stadtautobahn und der wesentlichste automobile Zubringer in die Innere Stadt verläuft im Osten entlang der Längsflanke des Gebiets. Diese mehrspurige Stadtautobahn, die derzeit von rund 50.000 Autos täglich frequentiert wird, wurde kürzlich in Hochlage angehoben. Sie beeinträchtigt die dahinterliegende Kleingartenanlage der ÖBB mit ihren 500 Parzellen also nicht mehr so stark wie früher und führte überhaupt erst dazu, dieses Gebiet für eine intensive Wohnnutzung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Im Süden bilden die Auf- und Abfahrt auf die Autobahn, sowie die gleichfalls recht stark befahrene Pragerstraße einen markanten Spitz, von dem aus sich das Grundstück verbreitert. Das Planungsgebiet wird am Ende seiner dreieckigen Zwickelgeometrie von der kleinen O’Brien-Gasse gequert: Dieser Weg ist sehr bedeutsam und wird intensiv benutzt. Denn nördlich von der S22 befindet sich das Shopping Center Nord, ein höchst populäres Einkaufszentrum mit über hundert Shops und Gastronomiebetrieben. Die relativ unscheinbare O’Brien Gasse ist für Shoppingwillige aus der Nachbarschaft der effizienteste und beste Zubringer. Die wesentliche Idee des städtebaulichen Leitkonzepts war, das Kleingartengebiet als „grüne Mitte“ zu betrachten und durch die neuen Planungsgebiete im Süden und Norden gleichsam wie ein Rahmen städtebaulich einzufassen. Ein wesentliches Planungsziel war, ein gutes Raumverhältnis zwischen grünem Freiraum und bebautem Volumen zu schaffen. Denn nur das sorgt für Wohnqualität und gewährt außerdem, dass das neue Gebiet in sein Umfeld passt.

Gemeinschaftsgarten von DnD Landschaftsarchitektur Foto: Sonja Schwingenberger

Gemeinschaftsgarten von DnD Landschaftsarchitektur Foto: Sonja Schwingenberger

„Die A22 wird als verkehrsreicher Hauptzubringer zum Donaufeld ausgebaut. Das heißt, künftig werden wohl 80.000 Autos pro Tag hier fahren“, so Häuselmayer. „Wesentlich an meinem städtebaulichen Vorschlag ist, im Osten an der A 22 ein großvolumiges Rahmenbauwerk als Abschirmung vorzuschlagen und dahinter Einzelbaukörper zu entwickeln, die aber untereinander ein Kontinuum bilden. Davon sollten zwei als Köpfe ausformuliert werden, die einen Übergang von Bauklasse II auf Bauklasse III bilden.“ Insgesamt war wichtig, dass eine maximale Nutzflächenobergrenze eingehalten wurde. „Es durften nicht mehr als 40% verbaut werden“, so Häuselmayer. Denn schließlich grenzt das Areal ja im Süden an den Kleingartenverein, und der Bruch zwischen diesem nieder bebauten Siedlungsteppich und den angrenzenden Neubauten sollte nicht zu groß sein. Um beide Areale zusätzlich zu verschränken, entwickelte das Landschaftsbüro DnD – Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic – eine Grünraumgestaltung, die sich von einer urban-artifiziellen Gestaltung im Süden bis hin zu einer ruderal-extensiven Begrünung im Norden an ihr Umfeld anpasst. Der großzügige Grünbereich im Norden leitet zur Kleingartenanlage über. Er ist sehr vielseitig gestaltet: So findet sich hier ein Gemeinschaftsgarten mit Hochbeeten, außerdem gibt es Holzwege und kleine Häuschen, die Schatten spenden, Spielplätze für Kinder mit schön gestalteten Schaukeln, Reckstangen für Jugendliche, Bänke, schattenspendende Pergolen und mehr. Nachdem das städtebauliche Konzept von Otto Häuselmayer überzeugt hatte, wurde ein Bauträgerwettbewerb über die Gestaltung der Wohnbauten in den einzelnen Baulosen abgehalten. Insgesamt entstanden hier fast 600 Wohnungen für rund 2000 Menschen.

Als Autor des städtebaulichen Leitkonzepts durfte sich Häuselmayer sein Wunsch-Baulos aussuchen: Er wählte das Teilstück am östlichen Rand und gestaltete es mit einer sowohl in der Höhe abgetreppten, als auch im Grundriss sägezahnartig versetzten Randbebauung zur Stadtautobahn A22 hin. Sie ist in sich differenziert: Ihre Süd-West orientierten Wohnungen, die sich in der versetzten Fassade an ihren weit vorstehenden Balkonen ablesen lassen, bilden die „innere Zone“, während der Erschließungsgang und angelagerte Neben- und Gemeinschaftsräume die „äußere Zone“ bilden, die auch als Schallschutzpufferzone wirkt.

Wohnungen müssen gut proportioniert sein und ruhig gefasste Grundrisse haben

Architekt Otto Häuselmayer

Hofseitig zum bewohnbaren Schallschutzriegel gibt es noch drei zueinander parallele Riegel, von denen je zwei eine ausgeprägtes, als etwas höheren „Kopfbau“ artikuliertes Ende aufweisen. Das dient dazu, die Überleitung von der Bauklasse III am Rand zur niederen Bauklasse II im Inneren etwas harmonischer zu gestalten. Außerdem sind die schallschützende Randbebauung und die drei Riegel über Brücken miteinander verbunden. Diese dienen auch zu einer besseren Verbindung der Wohnungen untereinander, die durchaus auch dazu gedacht sind, dass sich zwei Generationen einer Familie hier einmieten. Denn Durchmischung unterschiedlicher Alter und Wohnkonzepte - wie wohnen und arbeiten - waren ebenso ein Thema wie die Bildung einer Gemeinschaft unter den Menschen, die hier leben. Die Moderation dieser Prozesse wurde in die bewährten Hände des RealityLab gelegt, das auf soziale Nachhaltigkeit spezialisiert ist. Die Riegel nehmen in Volumen, Höhe und Bauform einen Bezug zur angrenzenden Bebauung – einer Wohnsiedlung der WSG – auf. Insgesamt gibt es in den Bauteilen, die Otto Häuselmayer verwirktlich hat, 121 Wohnungen der Typen B, C und D, von denen 41 Smart-Wohnungen mit komprimierteren Grundrissen sind. Trotzdem verfügt jede Einheit über Loggien, Balkone oder Terrassen. Außerdem gibt es zwei Wohngemeinschaften mit 19 betreubaren Wohneinheiten für betagtere Personen mit vielen Gemeinschaftsbereichen.

Florasdorf - Bauteil Häuselmayer Randbebauung Foto:Rupert Steiner

Florasdorf am Anger - Bauteil Häuselmayer Foto:Rupert Steiner

Ein halbrunder Bauteil bildet den Übergang von der sägezahnartigen, schmalen Randbebauung zu deren 23 Meter tiefem Ende: Dieses nimmt die Tiefe des angrenzenden Bauteils vom Studio VlayStreeruwitz auf. Dieser imposante Riegel steht sowohl von der Übernahme der Bauteiltiefe der Unité, als auch von den Sichtbetonoberflächen und dem Anspruch, unterschiedliche, innovative Wohnformen architektonisch abwechslungsreich in einer wohnmaschinenartigen Großform zu bündeln, in bester Tradition einer Moderne nach Le Corbusier. Als Kontrast dazu, der die Idee der „grünen Mitte“ noch betont, setzte Regina Freimüller Söllinger vier Punkthäuser mit partiell holzverkleideten Fassadenelementen in den gemeinschaftlich-urbanen Landschaftsgarten von Florasdorf, der auf diesem Baufeld von Carla Lo Landschaftsarchitektur gestaltet wurde. Mehr zu diesen Bauteilen lesen Sie in der Juni-Ausgabe von architektur.aktuell.

Florasdorf am Hain - Bauteil Häuselmayer Foto: Rupert Steiner

Florasdorf am Hain - Bauteil Häuselmayer Foto: Rupert Steiner

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