Pionier der Nachkriegsmoderne in Kärnten

Ernst Hildebrand 1923–2019

Personen

Einer der Pioniere der modernen Architektur in Kärnten nach 1945, als Galerist mit seiner Frau Heide einer der wichtigsten Förderer der zeitgenössischen Kunstszene des Landes sowie enger Freund des Zero-Künstlers Hans Bischoffshausen, mit dem er bei vielen Projekten gelungene Integrationen von Kunst und Baukunst schaffen konnte, starb am 13. Jänner im Alter von 96 Jahren. – Otto Kapfinger über eine Schlüsselfigur der Nachkriegsmoderne:


 

Ernst Hildebrand kam 1956 von Praxisjahren in der Schweiz nach Klagenfurt zurück. Er hatte schon vor dem Diplom an der TH Graz 1949 ein Monat bei Fritz Metzger (1898–1973) in Zürich volontiert und arbeitete 1950–55 bei Hermann Baur (1894–1980) in Basel. Metzger und Baur zählten zu den besten Büros in der Deutschschweiz und waren speziell im Kirchenbau führend, Baur darüber hinaus auch im Krankenhausbau. In seiner Zeit bei Baur beteiligte sich Hildebrand (zum Großteil in der Freizeit) am zweistufigen Wettbewerb für das Landeskrankenhaus in Klagenfurt. Schon in der ersten Stufe 1954 war sein Entwurf eindeutig an der Spitze, auch in der zweiten Stufe erhielt er den 1. Preis. Zur Ausarbeitung dieser Phase stellte das Büro Baur im Sommer 1955 einen eigenen Raum und Mitarbeiter ab. Als ›Verstärkung‹ für die Zeichenarbeiten kam Felix Orsini-Rosenberg hinzu – damals noch mitten im Studium an der TH Wien. Er hatte Hermann Baur bei der Salzburger Sommerakademie kennengelernt, wo dieser 1955 den Architekturkurs mit Schwerpunkt Kirchenbau abhielt und anschließend Orsini-Rosenberg für ein/zwei Praxismonate nach Basel einlud.

Baurecht, Esterl, Hildebrand, Kaplaner, Wettbewerbsmodell Uni Klagenfurt, 1972 © Kleine Zeitung

Baurecht, Esterl, Hildebrand, Kaplaner, Wettbewerbsmodell Uni Klagenfurt, 1972 © Kleine Zeitung

Eine wesentliche Inspiration erfuhren Hildebrand und Orsini-Rosenberg durch den jungen Walter M. Förderer, der nach bildhauerischen Anfängen von 1954–56 als Volontär im Büro Baur sich zum Architekten, zum Wegbereiter einer neuen Richtung in der schweizerischen und mitteleuropäischen Architektur entwickelte. Orsini-Rosenberg: »Förderer hatte den Zeichentisch mir gegenüber und arbeitete an Modellstudien für ein Krankenhaus, das Baur damals plante, aber dann doch nicht realisierte. Förderer war eigentlich der Wortführer dieser Arbeitsgruppe, er brachte vom Skulpturalen her ein anderes Raumverständnis herein, sehr stark dreidimensional, plastisch, mit komplexer Bewegung im Vertikalschnitt, während wir Architekten eher flächig geschichtet, in Grundrissen ›dachten‹. Mit diesem räumlich-plastischen Ansatz hat Förderer unmittelbar danach einige Wettbewerbe gewonnen und in die Szene einen ganz neuen Wind hereingebracht.« Und Ernst Hildebrand: »Schon bei den letzten Kirchenwettbewerben von Hermann Baur hatte Förderer seine Handschrift dabei, er hat die Modelle gemacht.« Diese Begegnungen waren von einem weiter reichenden Diskurs begleitet; Orsini-Rosenberg: »Um 1950 entstand ausgehend von den französischen Dominikanern diese Initiative zur Integration moderner Kunst in den Kirchenbau. Fernand Leger, Hans Arp, Alfred Manessier und andere wurden prominent in neue Kirchenbauten einbezogen. 1954 erschien das Buch von P. Pie Régamey ›Kirche und Kunst im XX. Jahrhundert‹.«

Zurück in Klagenfurt ist Hildebrand damit konfrontiert, dass nicht das Wettbewerbsprojekt als Ganzes umgesetzt wird, sondern dass diverse Einzelobjekte des bestehenden Pavillonkrankenhauses nach und nach neu- bzw. umgebaut werden sollen. Ab 1957 beginnt diese Umplanung, zu der Hildebrand – wie ihm nahegelegt wird – die Planungsgemeinschaft mit Otto Baurecht und Martin Esterl eingeht. 1957 erneuert er die Beziehung zu Hans Bischoffshausen, als er zu dessen Vernissage in der Galerie del Cavallino mit den Ehepaaren Baurecht und Esterl nach Venedig reist. 1958 wird auch Bischoffshausens Ausstellung in der Galerie nächst St. Stefan in Wien besucht, und Hildebrand erwirbt dort von ›Stutz‹ sein erstes Bild. Mit Heide Hildebrand kommt der kühne Impuls zur Gründung einer Kunstgalerie (2015 zeigte das Belvedere in Wien eine Retrospektive dazu). Die Galerie wird 1961 in Klagenfurt mit der Ausstellung 10 Jahre Bischoffshausen. Graphik aus Paris eröffnet. Im selben Jahr integriert Hildebrand ein 30 m langes, monochromes Bischoffshausen-Relief im Trakt der Chirurgie. 1961/62 beginnt auch Karl Hack die Detailplanung der Gewerblichen und kaufmännischen Berufsschule in Villach in Partnerschaft mit Karl Müller, wo Bischoffshausen zwei mit farbigen Verglasungen perforierte Betonwände (tragend) in der Eingangs- und Pausenhalle gestaltet sowie eine im Außenraum freistehende Betonwand neben dem Haupteingang. Auch Karl Hack erwirbt damals Arbeiten von Bischoffshausen.

Hans Bischoffshausen, Reliefs Berufsschule Klagenfurt, 1966-68 © Belvedere, Wien

Ernst Hildebrand mit Hans Bischoffshausen, Betonreliefs, Pausenhalle und Stiegenhaus, Krankenpflegeschule LKH Klagenfurt, 1965-68, seit 1993 unter Denkmalschutz  © Belvedere, Wien

1961/62 kommt über die Ausstellungen in der Galerie Hildebrand die Verbindung zu den Bildhauern Karl Prantl und Fritz Hartlauer zustande – zu dem seit 1959 in St. Margarethen im Burgenland gegründeten Symposion Europäischer Bildhauer, das seinerseits über das Engagement von Johann G. Gsteu, Friedrich Kurrent, Maria Biljan-Bilger, die Windbrechtingers, Wander Bertoni, Johannes Spalt und anderer in engster Verbindung zur avancierten Wiener Architekturszene steht.

Ernst Hildebrand pflegt in dieser Zeit weiter seine Kontakte in die Schweiz. Von 1956 bis in die 1980er Jahre gibt es freundschaftliche Briefwechsel mit Hans Zwimpfer und vor allem mit Walter M. Förderer. Zwimpfer verlässt das Büro Hermann Baur, wird 1958 Partner bei Rolf G. Otto und Walter M. Förderer. Ein Brief Zwimpfers zu Silvester 1956 kommentiert Hildebrands neue Situation in Klagenfurt: »Weniger gefreut hat mich, dass deine grosse chance keine mehr ist und das ganze spital so quasi nach utopien verschwunden ist. Mach doch deiner hochwohlgeborenen landesregierung den vorschlag eine anleihe in der schweiz aufzunehmen…« Über die ersten, revolutionären Bauten von Förderer/Otto/Zwimpfer ist Hildebrand um 1960 brieflich, durch Publikationen und Besuche aus erster Hand informiert, und dies hat Folgewirkungen: 1963 wird er mit Karl Raimund Lorenz und Ferdinand Schuster in die Wettbewerbsjury zum Neubau der Pädagogischen Akademie der Diözese Graz/Seckau berufen: »Nach dem ersten Rundgang sollten etliche Projekte ausgeschieden werden, darunter auch eines, das mir sehr gefiel und ich sagte zu den Kollegen: Das ist doch sehr interessant, dass sollte schon in der Wertung bleiben – und das war dann schließlich das Siegerprojekt von Domenig/Huth.«

Dieses Projekt ist der erste große und öffentliche Auftrag für das aufstrebende Grazer Duo, es markiert zugleich dessen Abkehr von funktionalistisch-rationalistischen Entwurfsmethoden und steht – von Förderers Realisierungen und spektakulären Wettbewerbserfolgen motiviert – am Beginn einer plastisch modulierten Sichtbeton-Phase in der Entwicklung von Domenig/Huth.

Domenig-Huth, Pädak Graz © Archiv Eilfried Huth, gat.st

Domenig-Huth, Pädak Graz © Archiv Eilfried Huth, gat.st

Nach dem Wettbewerb beginnt eine brieflich erhaltene Kommunikation zwischen Hildebrand, Förderer und Domenig/Huth; Hildebrand sendet Modellfotos nach Basel, vermittelt Besuchstermine in der Schweiz, wo Domenig/Huth die Sichtbetonqualität in Aesch und St. Gallen an Ort und Stelle studieren und fachliche Unterstützung gegenüber den skeptischen Bauherren in Graz anfragen. Vergleichbar der Kooperation zwischen Bischoffshausen und Hildebrand bzw. Hack integrieren auch Domenig/Huth einen profilierten jungen Bildhauer in ihre Planung: Barna von Sartory, der nach Beteiligungen am St. Margarethner Symposium 1966/67 auch in die Szene um die Galerie Hildebrand einbezogen wird.

Campus der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt © AAU Klagenfurt

Campus der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt © AAU Klagenfurt

Ernst Hildebrand – Daten zu Leben und Werk

geboren 1923  in Prag als Sohn des Architekten Rudolf Hildebrand

1938-42  Höhere Staatsgewerbeschule Abt. Hochbau in Reichenberg und Wien

1942-45  Militärdienst

1945/46-48/49  Architekturstudium Technische Hochschule Graz, wissenschaftliche Hilfskraft an der Lehrkanzel f. Baukunst u. Entwerfen Prof. Friedrich Zotter

Nov. 1949   2. Staatsprüfung, Dipl. Ing.

1949  Praxis bei Arch. Fritz Metzger, Zürich

1950-55  Mitarbeiter bei Arch. Hermann Baur, Basel, Entwurf von Kirchen und Schulen (6 Kirchenbauten; Gewerbeschule Basel, Erweiterung Bürgerspital Basel)

Sept. 1956  Befugnis als Architekt in Österreich

1954  Wettbewerb Landeskrankenhaus Klagenfurt (900 Betten) 1. Preis

1955  Engerer Wettbewerb LKH Klagenfurt, 1. Preis

1960/61  Wettbewerb Allgemeines Krankenhaus Wien - Ankauf

1972  Wettbewerb Hochschule für Bildungswissenschaften Klagenfurt, mit Arch. Martin Esterl, Ewald Kaplaner - 1. Preisgruppe Ausgeführte Bauten: LKH Klagenfurt

1957-68  in Kooperation mit Architekten Otto Baurecht u. Martin Esterl: Chirurgie (1961)- mit Reliefwand Bischoffshausen; Zentralwäscherei; Pathologie; Strahlentherapeutisches Institut u.a.

1965-68  Ausbildungszentrum Krankenpflegeschule am LKH - Planung Hildebrand alleinverantwortlich (mit integrierten Betonarbeiten Pausenhalle, Stiege, Vorbereich von Hans Bischoffshausen - steht seit 1993 unter Denkmalschutz)

Operationstrakt Krankenhaus Waiern, Feldkirchen/K

Umbau und Einrichtung Kärntner Landesgalerie, Klagenfurt

Volksschule Hörtendorf mit Turnsaal, Freibereich Rasenrelief mit Bischoffhausen

1973-77  Planung, Ausführung Universität Klagenfurt (mit Arch. Esterl und Kaplaner)

Umbauplanungen Rudolf Steiner Schule

Einfamilienhäuser, Wohnanlagen, Terrassenhaus

Preisrichter bei den Wettbewerben: Pädagogische Akademie Graz, Bundesrealgymnasium Stainach, Landeskrankenhaus Oberwart, Erholungszentrum Perchtoldsdorf, Landeskrankenhaus Bruck/Mur, Altersheim Ferlach

Teilnahme IV. Biennale Sao Paulo, 1957

Seit den 1950er Jahren Sammler zeitgenössischer Kunst

1961 mit seiner Frau Heide Hildebrand Gründung und Leitung der Galerie Hildebrand in Klagenfurt, Eröffnungsausstellung „10 Jahre Bischoffshausen“; Präsentationen internationaler und nationaler Avantgarde, ab 1966 in den von Ernst umgebauten Räumen in der „Bärenlauben“ / Wiesbadnerstraße; Dezember 1970 Rückzug von Heide und Schließung; 1974-84 Weiterführung durch Ernst als „Arbeitskreis Galerie Hildebrand"

2004 Würdigungspreis des Landes Kärnten für besondere Leistungen in der Architektur und für Verdienste um die Baukultur

2019 verstorben am 13. Jänner in Kärnten

Otto Kapfinger

Artikelbild ganz oben: Hans Bischoffshausen, Maria Lassnig, Heide Hildebrand, Ernst Hildebrand, 1961

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