Die Helmut Richter Schule kurz nach der Eröffnung 1995 Photo: Manfred Seidl

Die Doppelhauptschule (1992-94) von Helmut Richter am Penzinger Kinkplatz polarisiert wie sonst kaum ein Bau. Für die einen war sie der architektonische Höhepunkt des ambitionierten Schulbauprogramms 2000 von Stadtdrat Hannes Swoboda, für die anderen ein kostspieliges Ärgernis. Seit drei Jahren ist sie abgesiedelt, der Handlungsbedarf steigt.


„Ich wollte eine Schule machen, bei der nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen immer so auffällt, sich bemerkbar macht“, so Helmut Richter. Er wollte auf der Höhe seiner Zeit und darüber hinaus bauen. Richter orientierte sich an Vorbildern wie Nicolas Grimshaw, Richard Rogers und Renzo Piano, hinterfragte grundsätzlich alles und feilte bis zur letzten Sekunde an der Optimierung eines Entwurfs. Die Doppelhauptschule am Kinkplatz ist sein Hauptwerk, ein hierzulande rares Exemplar der High-Tech Architektur der 1990er von internationalem Format.

Recht auf Licht

Funktional ist die Schule in zwei Teile geteilt, an deren Nahtstelle eine mehrgeschossige Erschließungsachse verläuft. Im Norden sind drei von Osten und Westen belichtete Trakte mit hellen Klassen angelagert. Die Gänge sind besonders breit, die Toiletten als Boxen in den Raum gestellt, die Klassen in Leichtbauweise ausgeführt. Dadurch können sie flexibel erweitert werden.Die Südseite des Gebäudes ist transparent aufgelöst. Man betritt die Schule über eine Brücke im Westen, wo man von einer gläsernen Aula empfangen wird.

Die filigrane Konstruktion der südorientierten Mehrfachturnhalle überspannt 18 Meter. Sie ist in den Hang gegraben und wird von einer 1.300 m2 großen Glasfläche überdacht. Le Corbusiers Diktum „jeder hat ein Recht auf Licht“ löst die Schule exemplarisch ein, sie war oft publiziert und in Fachmedien bejubelt.

Avantgarde

"Wenn Robert Musil schloss, dass es zu unserem Wirklichkeitssinn auch einen Möglichkeitssinn geben müsse, bezieht Helmut Richter wohl seine Kraft aus einem stark entwickelten Möglichkeitssinn“, meinte Friedrich Achleitner. „Richters Welt des Möglichen ist keine abgehobene, utopische Welt, sie ist eine gerade noch mögliche. Aus dieser Spannung bezieht er seine produktiven Konflikte mit dem Bauen, das, wie wir wissen, eine in die Konvention abgesunkene Wirklichkeit mehr schätzt, als eine durch Möglichkeiten verunsicherte.“

Helmut Richter Schule, Eingang bei Nacht, 1995 Photo: Mischa Erben

Helmut Richter Schule, Eingang bei Nacht, 1995  Photo: Mischa Erben

Diese Analyse ist luzide und treffsicher, aus ihr könnte man folgern: In Richters Schule ist die Möglichkeit an der Wirklichkeit gescheitert. Bereits beim Bau kam es zu Einsparungen, viel Potential blieb ungenutzt: Das südorientierte Glasdach sollte ursprünglich mit Solarpaneelen zur Beschattung und Energiegewinnung bestückt werden. Die vorgesehene Nachtlüftung zur Gebäudekühlung, die Prof. Panzhauser und Dr. Krec in ihrem Nachweis eines normgerechten Betriebs einkalkuliert hatten, wurde nicht durchgeführt. Beispiele dieser Art gibt es viele, die Gemengelage zu Ursache und Behebung der Mängel ist mehr als komplex. Letztlich erwies sich die Schule als zu laut, zu heiß, reparaturanfällig, zu teuer im Betrieb. Sie wurde abgesiedelt, ihre Gegenwart ist trist, ihre Zukunft ungewiss.

Rettungsinitiativen

In Helmut Richters Todesjahr – 2014 – initiierte ein internationales Architekturkomitee, dem unter anderem Zaha Hadid, Dominique Perrault, Wolf D. Prix, Frank Gehry angehörten, eine internationale Petition, um den respektvollen und wertschätzenden Umgang mit dem außergewöhnlichen Werk Richters einzufordern. Dann blieb es lange ruhig.

Helmut Richter Schule, 2019, Klassentrakt Photo: Isabella Marboe

Helmut Richter Schule, 2019, Klassentrakt Photo: Isabella Marboe

2019 startete die Gruppe Bauten in Not [BiN] eine zweite Petition, um die Schule im Gemeinderat zur Diskussion zu bringen. Am 18. September 2019, dem von ihr ausgerufenen „Tag des schutzlosen Denkmals“ veranstaltete sie um 18:15 eine Freiluftklasse vor der Schule, bei der ORF-Sendungen über die Schule und andere Richter-Bauten, Sequenzen aus „Freispiel“ und Filme von Valie Export, in denen der junge Richter mitspielte, gezeigt wurden. Außerdem war es möglich, den Turnsaal zu betreten. Die Demo-Lecture war gut besucht.

Workshop

Am 23. Oktober luden die ÖGFA (Österreichische Gesellschaft für Architektur) und die ZV (Zentralvereinigung der ArchitektInnen für Wien, NÖ und Bgld.) zu einem Workshop in die TU, um fundierte Erkenntnisse von Experten zu bündeln und mögliche Zukunftsszenarien für die Schule zu entwickeln. Die Gemeinde Wien hatte mehrere Gutachten zur Sanierung beauftragt: Werkraum Wien (2014), KPPK/Hoppe (2016), Baumeister Ribarich (2018).Bericht zum workshop am 23.10.2019

Helmut Richter Schule, Aula 1995 Photo: Manfred Seidl

Helmut Richter Schule, Aula  Photo: Manfred Seidl

2016 wurden die Kosten für bestandserhaltende Maßnahmen auf 5,6 Mio. € geschätzt, für eine Generalsanierung nach Stand der Technik auf ca. 21 Mio. €. Zwei Jahre später – 2018 – schätzte Baumeister Ribarich eine vergleichbare Variante auf 56 Mio. €, wobei er von einem Austausch der gesamten Außenhaut inkl. Glasdächern ausging, was die anderen Gutachter unnötig erachteten. Dass so ein fragwürdiger Eingriff eine „wesentlich relevante Veränderung im gesamten Escheinungsbild“ und einen „anderen Charakter“ des Bauwerks bedeutete – letztlich also eine schwere Beeinträchtigung seiner Architekturqualität – kommt sogar im Gutachten selbst zur Sprache. Zwei Arbeitsgruppen reflektierten die Aspekte Bautechnik (12 Teilnehmende) und Architektur (10 Teilnehmende), ihre Schlussfolgerungen waren eindeutig: Voraussetzung für den Weiterbestand dieses einzigartigen Gebäudes ist eine aktive Nutzung. Beispielsweise als Studieneinrichtung im Erwachsenenbildungs- und Kulturbereich, als Referenzprojekt für die Sanierung eines Bestands der 1990er oder als Sportstätte. Der Abriss der 26 Jahre alten Architekturikone wäre ökologisch höchst problematisch und ein Armutszeugnis für eine Kulturstadt wie Wien.   

Status quo

Seither hat sich einiges getan: Dr. Paul Mahringer vom Bundesdenkmalamt bezeichnet die Richter-Schule als ikonisches Bauwerk. „Helmut Richter zählt zu den wichtigsten Namen in Bezug auf High-Tech-Architektur, diese Schule ist sein einziger öffentlicher Bau. In Fachkreisen ist man einhellig der Meinung, dass es sich um ein bedeutsames Werk handelt. Die Schule steht auf unserer Prüfliste, um das Unterschutzstellungverfahren heuer noch in die Wege zu leiten, die Gemeinde Wien ist bereits informiert.“ Die Kriterien der Denkmalbedeutung in geschichtlicher, künstlerischer und kultureller Hinsicht dürfte sie wohl erfüllen.

Für die MA 56 – Geschäftsgruppe Bildung, Integration, Jugend und Personal – ist der Umgang mit der abgesiedelten Schule ein heißes Eisen. Einige Erwachsenenbildungseinrichtungen hätten zwar Interesse an einer Nutzung bekundet, nach einem Lokalaugenschein jedoch Abstand genommen.

„Im Turnsaal gibt es eine Lärmentwicklung, in den oberen Stockwerken Hitze, bei den bisherigen Soundingboards fanden einige teilnehmende PädagogInnen das Gebäude nur begrenzt super“, so Rainer Hauswirth. „Die baukulturelle Bedeutung und Qualität mag gegeben sein, im Schulbetrieb hat sich dieses Gebäude aber Tag für Tag nicht bewährt.“ Trotzdem: „Die Richter-Schule abzutragen, steht außer Streit.“ Neue Nutzer zu finden, gestaltet sich jedoch schwierig. Die MA 69 – das Immobilienmanagement der Stadt – scheiterte bis dato daran, stadtintern nachhaltig Interesse dafür zu wecken. Man überlegte, die Schule im Winter dem Fonds soziales Wien als Wärmestube für Obdachlose anzubieten, was zusätzliche Investitionen erfordert hätte, die erst ab einer Betriebsdauer von zwei Jahren Sinn gemacht hätten. Diese Zeitspanne schien der Baudirektion zu lang. „Bis man einen Interessenten gefunden und alles auf die Reise gebracht hat, wäre eine coole Zwischennutzung schon wünschenswert“, so Hauswirth. Immerhin ist das Gelände der Richter-Schule nun gegen Vandalismus abgesichert.

Werner Schuster leitet das Kompetenzzentrum für soziale und kulturelle Infrastruktur in der Baudirektion Wien. „Wir haben eine Arbeitsgruppe gegründet, um über die Zukunft der Richter-Schule entscheiden zu können. Wir werden alle Möglichkeiten diskutieren. Ob es eine Sanierung im Richter-Stil wird, ob es einen Teilabbruch geben wird, ob ein Teil der Richter-spezifischen Struktur stehen bleibt: Der Ausgang ist ergebnisoffen“, so Schuster.Die Diskussion soll jedenfalls „jenseits der Emotionen“ und ohne Sentimentalität ablaufen. Auch Ideen wie die Algenbegrünung, die Richters Witwe Silja Tillner eingebracht hatte, werden geprüft. Die Moderation hat die Wiener Infrastruktur-Projektgesellschaft übernommen. „Der interessierten Fachgemeinschaft unterstelle ich ein Beiseitelegen der Fakten, was die Stadt am wenigsten brauchen kann. Bei vielen Architekten sind die Emotionen sehr hoch gegangen. Wir agieren mit öffentlichen Geldern, für eine engagierte Minderheit diese Schule zu erhalten, können wir nicht verantworten.“ Schuster hält sie für eine „Fehlkonstruktion“ und verweist auf andere Bauten des „Schulbauprogramms 2000“, die sehr wohl funktionieren würden.

Helmut Richter Schule, 2019, Turnsaal Photo: Isabella Marboe

Helmut Richter Schule, 2019, Turnsaal   Photo: Isabella Marboe

„Die Arbeitsgruppe gibt es noch nicht“, sagt Andreas Meinhold von der Wiener Standortentwicklungsgesellschaft WSE. Fest steht allerdings, dass etwa 10 – 12 Experten aus der Ingenieur- und Architekturbranche eingeladen werden, um in maximal zehn Workshops verschiedene Szenarien zu erarbeiten. Als Entscheidungsgrundlage dienen die drei bestehenden Gutachten, deren Kostenschätzungen aktualisiert und deren Kenntnisstand weiter entwickelt werden sollen. Meinhold: „Unser Ziel ist, mehrere Schwerpunkte – wie z.B. Denkmalschutz, Wohlfühlfaktor, Schall-, Wärme- und Brandschutz – umfassend zu betrachten und dann eine Entscheidung zu einer neuen Standortentwicklung für die ehemalige Richter-Schule zu treffen."

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