Media Review: Wem gehört die Infrastruktur?
Um das Funktionieren einer Stadt zu gewährleisten, braucht es stets neue Strategien. Das menschliche Leben – gleich ob urban oder rural – fußt auf Infrastrukturen, welche im Wandel der Zeit ihre Nutzung stets ändern. Unsere Media Review widmet sich diesmal infrastrukturellen Zugängen auf allen Kontinenten – und auf dem Mond!
Die erste Architekturtriennale im emiratischen Sharjah ging diesen Februar zu Ende. Unter dem Titel „Rights of Future Generations“ kuratierte Adrian Lahoud eine Schau abseits der westlichen Klischees des Orients zu Wolkenkratzern in der Wüste. Die gesammelten Geschichten zwischen Afrika, Asien und Australien erzählen von Entwicklungen, die abseits oder sogar im Konflikt mit ehemaligen Kolonialmächten stehen. Gigantische Infrastrukturprojekte des Westens, wie der Bau des Suezkanals 1869 – ein Einschnitt in die örtliche Natur und Kultur – werden aus der Sicht der heimischen Menschen reflektiert. Kurator Lahoud spricht vom „Globalen Süden“ nicht als kompakte Region, sondern als Archipel, der Gewalt, Fremdherrschaft, Kolonialismus und kapitalistische Ausbeutung erfahren musste. Diese Publikation zur Architekturtriennale gibt spannende Einblicke in unterschiedliche Welten, welche in unseren Sphären allzu oft unbemerkt bleiben. Die Beiträge der ArchitektInnen, AnthropologInnen und WissenschaftlerInnen erzählen vom steten Kampf dieser Gesellschaften zwischen Generationen sowie gegen Globalismus und Klimawandel, aber auch von der Bedeutung der Architektur in all dem.
Adrian Lahoud, Andrea Bagnato (Hrg.)
Rights of Future Generations
248 Seiten, Text englisch, Hatje Cantz, € 28,–
Auf der anderen Seite des Atlantiks haben sich in Brasilien riesige urbane Konglomerate gebildet – in einer Dimension, die für europäische Städte surreal erscheint. São Paulo gilt mit über 12 Millionen EinwohnerInnen als die größte Stadt der Südhalbkugel. Sarah Hartmann gibt in „Monuments of Everyday Life“ Einblicke in das Leben der Großstadt und welche Bedeutung Architektur und Infrastrukturbauten dabei im Alltag haben. So zum Beispiel die quer durch die Stadt laufende Autobahn Minhocão, deren 50.000 m² Asphaltfläche am Wochenende statt Verkehrsstau, dem geselligen Stadtleben der Paulistas Platz bietet. Hartmann spricht über die Notwendigkeit von Monumenten in der Stadt als gesellschaftliche Drehpunkte. Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle diese Strukturen heutzutage im öffentlichen Leben einnehmen. Anhand von gebauten Beispielen wie Lina Bo Bardis Teatro Oficina, MASP oder SESC POMPÈIA, sowie Thesen von Rem Koolhaas, Aldo Rossi, Denise Scott Brown oder Jane Jacobs, zeichnet Hartmann ein schemenhaftes Bild von dieser gegenwärtigen Megastadt und ihrem Alltag.
Sarah Hartmann
Monuments of Everyday Life
224 Seiten, Text englisch, jovis, € 29,80
Was die Identität einer Stadt ausmacht, liegt schon lange nicht mehr bei ihren BewohnerInnen sondern bei fremden „Cultural Brokern“ – zumindest wenn es um die Eventisierung der Stadt geht, wie Gabriela Muri et al. in ihrer Sammlung an Essays zitieren. Im Kampf der Standorte von Großevents wird die „Identität zum zentralen, strategischen Faktor für die unternehmerisch orientierte Erlebnisstadt eingesetzt.“ Das Image des Orts wird für den Weltmarkt konstruiert – fern von heterogenen, differenzierten Identitäten unseres urbanen Alltags. Die kritischen Texte in der Publikation hinterfragen am Beispiel Zürichs die Eventisierung der Stadt und deren Auswirkungen auf Architektur und urbanen Charakter.
Gabriela Muri, Daniel Späti, Philipp Klaus, Francis Müller (Hg.)
Eventisierung der Stadt
408 Seiten, Text deutsch, jovis, € 38,–
Die Orientierung innerhalb unserer gebauten Umwelt sowie deren Kartierung sind längst Sache von globalen, privaten Unternehmen geworden. Die Bedeutung von digitalen Karten wie GoogleMaps ist mittlerweile so stark, dass beispielsweise deren Grenzführung beinahe zum bewaffneten Konflikt zwischen Nicaragua und Costa Rica geführt hätte. In Augmented Spaces and Maps erforscht Christine Schranz das Design von kartenbasierten Interfaces. Durch neue, digitale Möglichkeiten können Karten und auch Pläne mit gezielt-ausgewählten Informationen erweitert und manipuliert werden. Neben der bereits gebauten physischen Welt gesellen sich nun auch digitale erweiterte Räume hinzu, die es zu kartografieren und miteinander zu verschmelzen gilt. Dadurch entsteht der Bedarf nach neuen Design-Sprachen und Werkzeugen, die im Stande sind, diese neuen Welten in Karten und Plänen aufzuzeichnen.
Christine Schranz
Augmented Spaces and Maps
304 Seiten, Text deutsch, Birkhäuser, € 39,95
Wem diese Welt nicht genug ist, der sucht sich neue Orte. Der uralte Traum der Menschheit diesen Planeten zu verlassen führte zur ersten Besetzung extraterrestrischer Flächen mit irdischen Objekten. Sieht man es wie Hans Holleins „Alles ist Architektur“, dann sind auch die von IngenieurInnen (unter Berücksichtigung statischer Gesetze) entwickelten Kapseln der Raumfahrt Lebensräume die für das (Über)leben der Menschen im Weltall – und somit schon Architektur. Der Architekturführer Mond gibt Einblicke in die irdischen Infrastrukturbauten für die Raumfahrt sowie in die Konstruktion von Raketen, Raumschiffen, Sonden und Astronautenanzügen – ganz gleich wie weit entfernt diese Projekte von unserer Erde oder ihrer generellen Realisierbarkeit sind.
Der ultimative Reiseführer für architekturinteressierte WeltraumbesucherInnen!
Paul Meuser
Architekturführer Mond
368 Seiten, Text deutsch, DOM publishers, € 38,–