Buchpräsentation und Panel bei BENE

Das Bauhaus-Erbe und Wien

Das ganze laufende Jahr über wird mit zahlreichen Veranstaltungen und Publikationen das 100. Jubiläum der Bauhaus-Gründung 1919 gefeiert. Eines der vielen neu erschienenen Bücher zum Thema befragt ArchitektInnen von heute über die Relevanz dieses Erbes. Bei einer Präsentation in Wien wurde engagiert über die alternativen Wege der Moderne diskutiert, die man in den 1920er Jahren in Deutschland und Österreich anbot. Je nachdem, ob junge ArchitektInnen damals das avantgardistische Bauhaus oder eine der Wiener Kunstschulen besuchten, fielen ihre Karrieren sehr unterschiedlich aus.


 

„Welchen Einfluss hat das Bauhaus auf die heutige Architektengeneration? ‚My Bauhaus / Mein Bauhaus‘ dokumentiert die gedankliche Auseinandersetzung von 100 Experten und hält damit 100 unterschiedliche Perspektiven fest.“ So beschreibt DETAIL-Chefredakteurin Sandra Hofmeister ihr Material- und erkenntnisreiches Buch. Bei der Präsentation mit anschließender Diskussion, die von der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs (ZVA) am 4. Juni 2019 im bewährten BENE-Forum in der Wiener Innenstadt veranstaltet wurde, berichtete Hofmeister unterhaltsam von ihren eigenen ersten Begegnungen mit dem Bauhaus-Erbe: Es begann mit dem obligatorischen Wassily-Fauteuil von Marcel Breuer (Entwurf um 1925) im kunstsinnigen elterlichen Haushalt. Der Stuhl wurde allerdings nicht als besonders bequem erlebt und daher bis heute in der alten Wohnung belassen. Bei einem Besuch in Dessau kurz nach der Wende konnte Hofmeister dann ein frustrierend gegenteiliges Bild zur lichten, klaren und reinlichen Moderne der Schul- und Wohnbauten von Walter Gropius erleben, da die Gebäude ungeliebt, ungepflegt und baufällig wirkten.

My Bauhaus © DETAIL

My Bauhaus © DETAIL

Auch das dritte initiale Bauhaus-Erlebnis der DETAIL-Chefin hatte es in sich: Auf ihren Bericht über die Sanierung der Dessauer Gebäude – damals als junge Nachwuchs-Redakteurin in der „Bauwelt“ – folgte prompt eine Klage eines der daran beteiligten Architekten: Erneut ein starker „Impact“ des Themas. Diese sehr persönlichen Begegnungen mit dem Erbe einer der wichtigsten Strömungen der klassischen Moderne (die gerade in Wien nicht mit dem Gesamt-Phänomen der Bau-Moderne verwechselt werden sollte) dominierten beim Gespräch in Wien den gesamten Abend. Hofmeister und die ZVA baten Maria Auböck (Auböck + Kárász Landscape Architects), Enkelin gleich zweier Bauhaus-Schüler, und Architekt Jakob Dunkl, Gründungspartner von querkraft Architekten, um ihre persönlichen Erlebnisse und Einschätzungen der Bauhaus-Relevanz heute. Ihre Berichte waren lehrreich und oft überraschend.

Wie damals beim Bauhaus sollte auch heute die Einheit der Künste gefördert werden – das Leitideal aller Avantgardebewegungen der frühen Moderne.

 

Maria Auböck schilderte – wie schon beim Bauhaus-Symposion der Wiener Akademie der bildenden Künste am 16. Mai – sehr anschaulich und gestützt auf zahlreiches authentisches Material sowie Berichte aus der Familientradition das Szenario, das sich am Ende des Ersten Weltkrieges einem jungen österreichischen Künstler bot: Grundsätzlich hatte man für seine Ausbildung die Wahl zwischen der konservativen Wiener Akademie der bildenden Künste, der moderneren Kunstgewerbeschule von Josef Hoffmann, Oskar Strnad, Josef Frank & Co, und den zahlreichen privaten Kunstschulen, von denen jene des esoterischen Malers Johannes Itten eine der bekanntesten war. Der Maler und Designer Carl Auböck (1900-1957) trat in die Itten-Schule ein und zog bald danach gemeinsam mit dem Meister, der von Bauhaus-Gründer Walter Gropius 1919 über Vermittlung von dessen Wiener Ehefrau Alma (Mahler-Werfel-Gropius) als Leiter des berühmten Vorkurses nach Weimar berufen worden war, an das neue Avantgarde-Institut.

Maria Auböck entführt in die Avantgarde-Szene der 1920er Jahre © M. Boeckl

Maria Auböck entführt in die Avantgarde-Szene der 1920er Jahre © M. Boeckl

Neben Auböck gingen auch Otto Breuer, Max Bronstein, Maria Cyrenius, Friedl Dicker, Alfred Lipovec, Wally Neumann, Ola Okunieska, Gyula Pap, Franz Popst, Franz Singer, Franz Skala, Naum Slutzky, Margit Tery-Adler und Anni Wottitz 1919 mit Itten nach Weimar – einige dieser Namen sind heute nicht einmal mehr Fachleuten ein Begriff, weshalb Maria Auböcks Erinnerung an sie höchst verdienstvoll ist. Einiges der damaligen Lebensrealität ist auch in der schönen Carl Auböck-Monografie festgehalten, die 1997 vom Wien Museum herausgebracht wurde.

Gropius hatte den nach Wien zurückgekehrten Bauhaus-Schüler Auböck zweifellos sehr geschätzt: Das beweisen mehrere kleine Designobjekte, die er stets auf seinem Schreibtisch stehen hatte.

In Weimar erlernte Auböck nicht nur jene elementar modernen Designstrategien, die er später in seiner – mittlerweile über vier Generationen hinweg erfolgreichen – Werkstätte in Wien umsetzen konnte, sondern malte auch ein Wandbild in der Kantine des Schulgebäudes. Außerdem lernte er seine spätere Ehefrau kennen, die bulgarische Bildhauerin, Textilkünstlerin Mara Uckunowa-Auböck (1895–1987), die einige Zeit eng mit Josef Albers befreundet war. Maria Auböcks lebhafte Schilderungen des Avantgarde-Milieus der frühen 1920er Jahre mit seinen zahlreichen sehr persönlichen Verflechtungen vermittelten ein rares Erlebnis der damaligen Atmosphäre. Gropius hatte den nach Wien zurückgekehrten Bauhaus-Schüler Auböck zweifellos sehr geschätzt: Das beweisen mehrere kleine Designobjekte, die er stets auf seinem Schreibtisch stehen hatte – sowohl in Weimar und Berlin als auch im US-Exil in Cambridge.

Auch Jakob Dunkl konnte mit aufschlussreichen persönlichen Erinnerungen aufwarten – aber auch mit konkreten Bezügen zur aktuellen Architekturproduktion, die vor allem um künstlerische Kooperationen kreisen. Seine erste Auseinandersetzung mit dem Bauhaus fand am Gymnasium in Stuttgart statt, wo er im Kunstunterricht ein Referat über die Avantgarde-Schule der Weimarer Republik zu halten hatte. Nun stieß Dunkl bei der Vorbereitung auf den BENE-Abend auf den Katalog einer der ersten Bauhaus-Retrospektiven, die der Württembergische Kunstverein 1968 veranstaltet hatte. In diesen Katalog aus der Familienbibliothek hatte er sein Vortragsmanuskript der Schulzeit eingelegt und konnte so höchst unterhaltsam aus den Überlegungen des Teenagers zitieren. Einige seiner damaligen Beobachtungen – etwa zur Stellung des Bauhauses im Spektrum der klassischen Moderne – sind durchaus heute noch valide.

Katalog 50 Jahre Bauhaus, Wb. KV, Stuttgart 1968

Katalog 50 Jahre Bauhaus, Wb. KV, Stuttgart 1968

Sehr präzise beantwortete Dunkl die Frage nach der aktuellen Relevanz von Avantgarde-Konzepten der 1920er Jahre: Für ihn steht hier die Einheit der Künste im Vordergrund, die ja das Leitideal aller Avantgardebewegungen der frühen Moderne war. Sie sollte die entfremdenden Spezialisierungen des Industriezeitalters überwinden und im Sinne eines ästhetischen Werkzeugs der Lebensreform alle Lebensbereiche zum Wohle des (neuen) Menschen mit künstlerischem Anspruch durchdringen. Komplexe Werke – Bauten etwa – werden dabei von Künstlern spartenübergreifend-integrativ in einem gemeinsam entwickelten ästhetischen Ideal erarbeitet. An drei Beispielen bekannter Bauten von querkraft zeigte Dunkl, wie das sogar in unserer juristisch-technokratischen Ära heute noch funktionieren kann. Dabei stehen Farbe und Licht als Themen spartenübergreifender künstlerischer Kooperationen im Mittelpunkt: Im CGLA-Wohnhochhaus (Wien 2015) etwa arbeitete man mit Heimo Zobernig zusammen und entwarf ein Farbkonzept, das in monochromen Grundfarben-Anstrichen jeweils mehrere Geschosse zu optischen Einheiten zusammenfasst. Im Betriebs- und Laborgebäude des Pharmaunternehmens Croma (Leobendorf, NÖ 2017) entwickelten die Architekten gemeinsam mit Ingo Nussbaumer Farbkonzepte für die Freiluft-Cafeteria sowie weitere Bereiche mit Esther Stocker. Und für das Privatmuseum des Industrie-Tycoons Herbert Liaunig (Neuhaus/Kärnten 2015) erarbeiteten querkraft mit der Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz schließlich eine beeindruckende Neon-Installation für die Decke eines unterirdischen Verbindungskorridors zweier Ausstellungsbereiche.

Jakob Dunkl erklärt das Farbkonzept des CGLA-Wohnhochhauses von querkraft © M. Boeckl

Jakob Dunkl erklärt das Farbkonzept des CGLA-Wohnhochhauses von querkraft © M. Boeckl

Auch die Schlussdebatte mit Hofmeister, Auböck, Dunkl und dem Publikum verlief engagiert, spannend und informativ. Neben den unterschiedlichen Ausbildungskonzepten damals und heute wurde die Rolle der Frauen, die konträren Profile der Architekturfakultäten und ihrer Lehrer sowie die Konkurrenz verschiedener Moderne-Konzepte intensiv diskutiert. Der von Bauhaus-Fans oft als Alleinstellungsmerkmal dargestellte hohe Frauenanteil unter den Studierenden wurde mit dem Verweis auf die Wiener Kunstgewerbeschule relativiert, an der Frauen schon seit dem 19. Jahrhundert zugelassen waren, und die bedeutende Architektinnen wie etwa Margarete Schütte-Lihotzky hervorgebracht hatte. Architekt János Kárász wies auf den Avantgarde-Anspruch der Weltgestaltung hin, der so heute kaum mehr nachvollziehbar ist. Und Architekt Georg Schrom erinnerte an Werk und Schicksal der beiden bekanntesten „Wiener Bauhäusler“ Franz Singer (1938 geflüchtet nach England) und Friedl Dicker (1944 ermordet in Auschwitz). Zu den erfolgreichsten österreichischen Bauhaus-Schülern zählt Herbert Bayer, der 1925 zum Meister avancierte und 1938 über England in die USA emigrierte, wo er 1939 mit Walter Gropius am MoMA in New York die erste Bauhaus-Retrospektive kuratierte. – Ein lehrreicher, unterhaltsamer Abend!

Maria Auböck, Sandra Hofmeister und Jakob Dunkl am BENE-Podium in Wien © M. Boeckl

Maria Auböck, Sandra Hofmeister und Jakob Dunkl am BENE-Podium in Wien © M. Boeckl

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