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Interview: Karin Hartmann

Karin Hartmann ist Architektin und Autorin. Sie schreibt, spricht und forscht zu Baukultur und intersektionalem Feminismus. Sie ist Mitglied im Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) und seit 2022 erste Vorsitzende des Karrierenetzwerks und Berufsverbands architektinnen initiative Nordrhein-Westfalen. Wir waren mit Karin Hartmann zu ihrem frisch erschienenen Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur“ im Gespräch:

In der Beschreibung von „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ steht „In einer amerikanischen Studie war unlängst zu lesen, Sexismus und Rassismus seien in der Architektur so weit verbreitet, dass es diesen Themen gegenüber eine brancheneigene Abneigung gäbe.“, wie sieht der aktuelle Stand zum Thema Chancengleichheit in der Architektur konkret in Deutschland und Europa aus?

Das American Institute of Architects veröffentlichte 2021 eine erste große Studie zu den Bias in der Architekturbranche Nordamerikas. Sie ist nach ihrer zentralen Erkenntnis benannt, dem „Elephant in the (Well-Designed) Room“: Weiße Männer machen in der Branche andere Erfahrungen als alle anderen Gruppen. Die Studie zeigt auf, dass der Branche durch Bias viel Talent verloren geht und die Diskriminierung internalisiert ist. Die Situation ist nicht eins zu eins auf Europa übertragbar, aber das Berufsbildes des „modernen Architekten“ wurde exportiert und in seinen Grundzügen weltweit adaptiert. Für Deutschland gibt es nicht im Ansatz eine vergleichbare Studie zur Untersuchung der strukturellen Diskriminierung in der Architektur – leider. Ich hoffe sehr, dass hierzu bald in der Breite geforscht wird, so dass wir nicht in die USA schauen müssen, sondern spezifisch auf die Situation in Deutschland reagieren können.

Woran erkennen wir konkret, dass die Baubranche ein Problem mit Diversität hat?

Aus meiner Sicht ist der Umstand, dass viele Frauen und marginalisierte Personen an einer klassischen Architekturkarriere nicht festhalten, ein Systemanzeiger. Warum tun sie das? Warum fassen etwa die 59 Prozent der Absolventinnen, die 2021 erfolgreich ihr Studium abgeschlossen haben, aller Voraussicht nach nicht Fuß in einem Beruf, der gesellschaftlich hoch angesehen ist? Diese Entscheidung gegen die Architektur an einer Stelle der Berufsbiografie hat strukturelle Ursachen, und sie gilt es zu untersuchen und anzugehen. Dieser Drop-Out markiert, dass in der Branche etwas grundsätzlich nicht in Ordnung ist.

Die durch einen ‚male gaze‘ betrachtete und gebaute Umwelt lässt die Bedürfnisse von vielen – Frauen, Kindern, Schwarzen Menschen, People of Color, queeren Menschen – außen vor. Die Deutungshoheit hingegen von ‚guter‘, aber auch ‚richtiger‘ Architektur liegt in der Hand von wenigen.

Karin Hartmann

In Ihrem Buch ziehen Sie eine Verbindung zwischen Gleichberechtigung bzw. Care-Arbeit und der Erreichung von Klimazielen, können Sie dies näher erläutern?

Der Schlüssel zu dieser zunächst ungewöhnlich mutenden Aussage liegt in Forschungsergebnissen, die darauf hinweisen, dass die Genese des Berufsbilds des Architekten historisch mit dem Othering von weiblich gelesenen Tätigkeiten, Charaktereigenschaften und Bedürfnissen einherging. Dieser Aspekt äußert sich z.B. in einer planerischen Haltung, die den Kontext geringer schätzt als den Neubau, die produktive Arbeit vor die reproduktive Arbeit stellt. Elke Krasny hat diese Verbindung von Architektur und Care untersucht. Im Rückblick wird sichtbar, dass diese Haltung nicht nachhaltig war und zu einem großen Ressourcenverbrauch geführt hat – und der Planet heute etwas anderes braucht, nämlich eine Haltung des Kümmerns, Sorgens und Schützens. In meiner Analyse hat sich gezeigt, wie Care nicht nur die Leerstelle markiert, die durch eine einseitige planerische Perspektive entstanden ist, sondern auch den neuralgischen Punkt in der Frage, warum insbesondere Frauen die Architektur verlassen...

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