2007 erschien unser erstes Heft zu Splendid Isolation.
Können Sie sich noch erinnern? Seitdem beschäftigen wir uns jährlich mit der Wohnform, die auch heute noch für knapp 70% der ÖsterreicherInnen die bevorzugte ist - das Einfamilienhaus. Im Zuge unserer diesjährigen Recherche haben wir die Beiträge aus 2007 nochmals gelesen und möchten ein besonderes Highlight, den Beitrag von Reinhard Seiß, Ein hausgemachtes Problem  mit Ihnen teilen. Was hat sich verändert?


Ein hausgemachtes Problem

Die Erfolgsgeschichte des freistehenden Einfamilienhauses in Österreich sollte nicht nur Architekten und Raumplanern zu denken geben, sondern vor allem auch der Politik. Denn das millionenfach erträumte und realisierte Häuschen im Grünen ist mit dem Niedergang effizienter urbaner Strukturen, mit immensem Bodenverbrauch, irreversiblen Umwelt- und Klimafolgen sowie mit langfristig wirksamen öffentlichen Kosten verbunden.

Wohnbauförderung: Motor der Zersiedelung

Eines vorweg: Der Wunsch nach einem eigenen Haus mit Garten drum herum ist – prognostizierter Wertverlust hin, Vereinsamung im Alter her – kein so abwegiger. Denn Österreichs Städte – allen voran Wien – ersticken im Autoverkehr, und das wortwörtlich: sommers im bodennahen Ozon, winters im Feinstaub. Der öffentliche Raum dient zum Abstellen von Fahrzeugen oder zum Gassi-Gehen mit dem Hund, ist aber – abgesehen von wenigen prominenten Plätzen – nicht dazu angetan, sich dort auch aufzuhalten. Die Ausdünnung der fußläufig erreichbaren Nahversorgung führt selbst in urbaneren Gebieten zu einer gewissen Abhängigkeit vom privaten Pkw. Und dazu kommt noch ein sozialer aber dennoch teurer Massenwohnbau, der in mancher Hinsicht auf dem Niveau der 1970er Jahre stehen geblieben – ja hinsichtlich Belichtung und Besonnung, Freiflächenangebot und Gemeinschaftseinrichtungen sogar hinter diese Standards zurückgefallen ist. Insbesondere für junge Familien bieten dicht bebaute Stadtviertel seit Jahrzehnten schon zu wenig Lebensqualität, sodass das peripher gelegene Einfamilienhaus, und sei es aus dem Fertigkatalog, für viele zur probaten Alternative wurde und wird. Dies auch, weil bestehende Gesetze, Steuern und Förderungen aufgelockerte Siedlungsformen begünstigen, ja geradezu forcieren – fataler Weise aber ohne Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien.

An vorderster Stelle steht dabei die Wohnbauförderung in Höhe von derzeit 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, die (so gut wie) nicht unterscheidet, ob es sich um ein Mehrfamilien- oder Reihenhaus mit öffentlichem Verkehrsanschluss handelt – oder aber um ein Einfamilienhaus auf einer abgelegenen 1.000 Quadratmeter-Parzelle. Zwar bestehen inzwischen in einigen Bundesländern, insbesondere in Vorarlberg, erste Ansätze zur Koppelung der Förderhöhe an die Standorteignung oder den Flächenverbrauch eines Wohnbaus, doch reichen die marginalen Zu- oder Abschläge bei weitem noch nicht aus, um eine steuernde Wirkung zu erzielen. Angesichts der großen Bodenpreisdifferenzen zwischen zentralen und peripheren Lagen fungiert die Wohnbauförderung so schon seit Jahrzehnten als Motor von Zersiedlung und Suburbanisierung. Zur Verdeutlichung: Während Wien im Zeitraum 1971 bis 2001 rund viereinhalb Prozent seiner Einwohner – das sind 70.000 Bürger – verloren hat, nahm die Bevölkerungszahl in Umlandgemeinden wie Biedermannsdorf, Laxenburg, Münchendorf, Wiener Neudorf, Mauerbach oder Wolfsgraben um weiter über 100 Prozent zu.

Der Steuerzahler finanziert die Ressourcenvergeudung

Schwerwiegende Auswirkungen auf die Siedlungsentwicklung hat auch die direkte wie indirekte Subventionierung des Autoverkehrs, die das suburbane Wohnen in seiner heutigen Dimension überhaupt erst ermöglicht. Trotz Kfz- und Benzinsteuern, trotz Vignette, Maut und Parkgebühren werden die Kosten des motorisierten Individualverkehrs zu einem großen Teil von der Allgemeinheit getragen – zumal nicht nur die Ausgaben für Straßenausbau und -sanierung zu Buche schlagen, sondern beispielsweise auch die Folgekosten von Autounfällen, Lärm- und Abgasbelastung, Umweltzerstörung und Klimawandel. Dazu kommen steuerliche Vergünstigungen – sei es für Pendler, sei es für Inhaber von Firmenautos -, die in erster Linie jene lukrieren, die im so genannten Speckgürtel der Städte wohnen. So hat Wiens Nachbarbezirk Mödling, und nicht etwa ein strukturschwacher Bezirk im nördlichen Waldviertel, den höchsten Anteil an Beziehern der Pendlerpauschale – und ist gleichzeitig der wohlhabendste Bezirk Österreichs, was die Pendlerförderung nicht nur siedlungs- und verkehrspolitisch, sondern auch sozialpolitisch in Frage stellt. Lediglich 22 Prozent der Pendler aus dem Bezirk Mödling nutzen für ihren täglichen Weg nach Wien öffentliche Verkehrsmittel, im Bezirk Wien-Umgebung nicht einmal 17 Prozent. Die weitläufigen Einfamilienhausgebiete sind mit Bahn oder Bus nicht mehr wirtschaftlich zu erschließen – und wer schon einmal im Auto sitzt, steigt am nächstgelegenen Bahnhof auch nicht mehr in den Regionalzug um.

Selbst der Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden spielt eine gewichtige Rolle bei der Verhüttelung der heimischen Landschaft. Denn die jährliche Budgetzuteilung an die Kommunen richtet sich nach deren Einwohnerzahl, sodass jeder Bürgermeister geradezu bestrebt sein muss, möglichst viele Häuslbauer anzuziehen – mit einem Überangebot an großzügig bemessenen Parzellen sowie günstigen Grundstückpreisen. Die Folge dessen sind extensiv bebaute und oft nur fragmentarisch entwickelte Einfamilienhausgebiete mit enorm hohem Erschließungsaufwand für die öffentliche Hand. Allein die Errichtung und Erhaltung der technischen Infrastruktur – also von Straßen, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung – in solch aufgelockerten Siedlungen bedeutet laut einer volkswirtschaftlichen Studie der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) jährliche Mehrkosten von 150 Millionen Euro im Vergleich zu einer flächensparenden Besiedlung. Obwohl die Gemeinden durch ihre Flächenwidmungs- und Bebauungspläne diese Ressourcenvergeudung erst ermöglichen, haben sie die Folgekosten in der Regel nur zu 16 Prozent zu tragen. 37 Prozent der Infrastrukturkosten entfallen auf die Gebührenzahler – unabhängig davon, ob sie in einem dicht oder locker bebauten Teil des Gemeindegebiets leben – und 47 Prozent auf Bund und Länder (Stand 2001).

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Es geht auch anders: Deutschland und die Niederlande

Ähnlich verhält es sich bei den sozialen Folgekosten der Zersiedelung – etwa bei den Transportausgaben für Kindergarten- und Schulkinder, Pflegehilfen oder Essen auf Rädern: In einem stark zersiedelten Gebiet sind diese elf Mal, in einem Streusiedlungsgebiet gar 23 Mal so hoch wie in einem kompakten Siedlungskörper – getragen werden sie aber ohne Unterschied zu 67 Prozent vom Bund, zu 15 Prozent von den Ländern sowie zu je neun Prozent von den Gemeinden und den Leistungsempfängern (ÖROK, Stand 2001). Noch gar nicht quantifiziert wurden bisher die ökologischen Folgekosten von Österreichs ressourcenintensiver Siedlungsentwicklung, die tagtäglich 21 Hektar Boden in Anspruch nimmt. Was läge also näher, als den Finanzausgleich derart umzugestalten, dass der „erzwungene“ Wettlauf der Gemeinden um Bewohner entschärft wird? Was spräche dagegen, die Höhe der Transferzahlungen an die volkswirtschaftliche Effizienz der Kommunalplanung zu koppeln, um die Gemeinden bei sorgloser Handhabung staatlicher Infrastrukturmittel in die Verantwortung zu nehmen? Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass Kommunen durchaus zu großer Sparsamkeit und wirtschaftlichem Handeln bereit sind, sobald sie für die von ihnen verursachten Kosten selbst aufkommen müssen.

Wie auch in Österreich, hat die Bundesregierung in Deutschland das Ziel ausgegeben, den massiv anwachsenden Flächenverbrauch – 200 Hektar pro Tag – drastisch zu reduzieren. Im Unterschied zu Österreich setzen die deutschen Bundesländer dieses umweltpolitische Ziel im Zuge der Regionalplanung auch um und geben den Gemeinden verbindliche Baulandskontingente vor. Dabei bekommen – im Sinne einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung – Gemeinden mit leistungsfähigem öffentlichen Verkehr mehr neues Bauland zugesprochen als Gemeinden mit hoher Auto-Abhängigkeit. In den Niederlanden ist die Raumordnungspolitik so restriktiv, dass Zersiedlung quasi ein Fremdwort ist. So werden Grundstücke erst dann in Wohnbauland umgewidmet, wenn sie im Eigentum der Kommune oder einer der – früher meist staatlichen – Wohnbaugesellschaften sind, wodurch Baulandhortung und Grundstückspekulation ausgeschlossen sind. Und falls von den Bauträgern Wohnbauförderung in Anspruch genommen wird, verknüpft der Staat damit klare inhaltliche Vorgaben. Damit gelang es den Niederlanden, den Bodenverbrauch möglichst gering zu halten – in Ballungsräumen stehen Reihenhäuser auf durchschnittlich 150 Quadratmetern Grundfläche.

Österreich: Der politische Wille fehlt

In Deutschland wurde die Eigenheimförderung des Bundes (eine Möglichkeit zur Steuerabschreibung beim Erwerb von neuem Wohnungseigentum) im Jahr 2005 ersatzlos abgeschafft. Geblieben sind die Wohnraumförderungsprogramme der Länder (zinslose Darlehen), die – wie etwa in Nordrhein-Westfalen – ganz bewusst zur Steuerung der Siedlungsentwicklung eingesetzt werden. So ist es das vorrangige Ziel der Wohnungs- und Städtebaupolitik der Regierung in Düsseldorf, die Wohnbautätigkeit in den stagnierenden Großstädten zu konzentrieren. Dazu wird zur Grundförderung von 20.000 bis 45.000 Euro ein so genannter Stadtbonus in Höhe von weiteren 20.000 Euro gewährt, wenn Wohnraum in einer der 32 Städte des Landes geschaffen wird. Darüber hinaus genießt die Sanierung von Wohnungsbestand Vorrang gegenüber dem Wohnungsneubau. Damit signalisiert die Politik unmissverständlich, dass jedwede Form des Wohnbaus mehr erwünscht ist als die Errichtung von Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese.

Hier zu Lande fehlt bislang der politische Wille, die Suburbanisierung einzudämmen, indem man zum einen die Besiedlung der Peripherie limitiert (oder zumindest nicht mehr forciert) und zum anderen die Zentren bevorzugt und attraktiviert. Im Gegenteil: In Österreich treten Städte, siehe abermals Wien, in Konkurrenz zu ihrem Stadtumland – nicht etwa, indem sie ihre urbanen Qualitäten stärken, sondern indem sie eigene Speckgürtel ansetzen. So hat die Bundeshauptstadt seit Anfang der 1990er Jahre mehr als 20.000 Kleingartenparzellen zur Einfamilienhausbebauung freigegeben – Tendenz weiter steigend. Und im April 2006 kündigten der Bürgermeister und sein Wohnbaustadtrat an, in den nächsten Jahren insgesamt 3.500 Einfamilienhäuser mit Garten zu subventionieren und dafür 750.000 Quadratmeter Bauland zur Verfügung zu stellen – um im Rahmen des Förderprogramms „Neue Siedlerbewegung“ die stete Abwanderung aus Wien ins benachbarte Niederösterreich endlich zu stoppen…

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