Modern Classics 14

Die General Panel Corporation

Angewandte Birkhäuser Stressing Wachsmann (c) 2020 Detail

Die ersten Versuche der europäischen Avantgarde in den 1920er und 1930er Jahren, den Wohnbau zu standardisieren und als industrielle Serienproduktion neu aufzusetzen, scheiterten am realen Baubetrieb und an den historischen Ereignissen ab 1933. Zwei Schlüsselfiguren dieser kontinuierlich gepflegten Vision der Moderne gingen ins US-Exil: Konrad Wachsmann und Walter Gropius. 1941 gründeten sie die General Panel Corporation, mit der sie die alte Idee nun unter den Bedingungen von Marktwirtschaft und Kapitalismus auf breiter Basis realisieren wollten.


 

Walter Gropius und Konrad Wachsmann, die beiden Advokaten der Standardisierung des Bauens, das sie schon in den 1920er und 1930er Jahren in Europa in vielen Projekten mit Verve verfolgt hatten, gründeten 1941 die General Panel Corporation mit dem Ziel, komplett vorgefertigte Häuser fabriksmäßig und massenhaft herzustellen. Anders als in Europa war und ist in den USA der individuelle Wohnbau kaum reguliert und fast ausschließlich marktgetrieben, was die breite Realisierung eines standardisierten Wohnbaus von der Gunst der Konsumenten abhängig macht. Wachsmann und Gropius identifizierten zwar den Einfamilienhausmarkt korrekt als größtes industrielles Potential im Bereich des Wohnbaus in Amerika, da kollektiver und verdichteter Wohnbau hier weit weniger gefragt sind als in Europa. Was ihr Standardisierungsideal jedoch ignorierte, war das Faktum, dass gerade das Einfamilienhaus seit jeher ein zentraler Träger des Individualismus ist, ja im 19. Jahrhundert gerade für die beginnende Individualisierung der Industriegesellschaft erfunden wurde.

Nachdem man fabrikmäßig so viele Kanonen, Flugzeuge, Lastwagen, Eisenbahnwagen hergestellt hat, fragt man sich: Könnte man nicht auch Häuser fabrizieren?

Le Corbusier, Kommende Baukunst

 

In den meisten Fällen soll das Einfamilienhaus daher vor allem die Identität seiner Bewohner ausdrücken und nicht jene eines anonymen und abstrakten „industriellen Charakters“. Serienhäuser stehen diesem Kundenwunsch nach individuellem Ausdruck, der in der Kaufentscheidung mindestens ebenso viel zählt wie der günstige Preis, daher schon per Definition entgegen. Zugespitzt formuliert: Der Markt verlangt nach dem „schönsten“, individuellsten und dabei kostengünstigen Haus, keineswegs nach dem Billigsten. Dieser Wunsch intensiviert sich mit dem Wirtschaftswachstum und der Kaufkraft der Konsumenten, die im Nachkriegsboom der USA stark wuchsen. Potentielle Zielgruppen für industriell hergestellte Serien-Einfamilienhäuser gab es im Grunde nur dort, wo Individualisierung nicht erwünscht oder nicht leistbar war. Ersteres war nur beim Militär der Fall, das bis Kriegsende zu Wachsmanns Kunden zählte, aber mit dem Sieg 1945 und der Reduktion des „war effort“ kaum mehr Bedarf an industriellen Bautechnologien hatte. Und letzteres war nur in weniger entwickelten Regionen in Peripheriegebieten des US-Einflusses gegeben, kaum jedoch im kontinentalen Kerngebiet der nunmehrigen Supermacht.

General Panel Corporataion, Packaged House, um 1950 (c) Akademie der Künste, Berlin

General Panel Corporataion, Packaged House, um 1950 (c) Akademie der Künste, Berlin

Das Scheitern dieses 1941 gegründeten und 1951 liquidierten Unternehmens beendete viele Hoffnungen der Avantgarde auf einen systematisch-rationellen Wohnbau als Grundlage der vollständigen Industrialisierung des Bauens und eines damit verbundenen gesellschaftlichen und ästhetischen Wandels. Die gründlichste Analyse dieses Scheiterns liest man in Gilbert Herberts Standardwerk The Dream of the Factory-Made House. Walter Gropius and Konrad Wachsmann (1984). Als Ursache des Misserfolgs identifiziert Herbert eine dramatische ökonomische Diskrepanz: Einerseits verbrauchte das Unternehmen bei der Entwicklung einer perfektionierten Serienproduktion einen stark überhöhten Zeit- und Kapitalaufwand und andererseits hatten sich, wie oben erwähnt, die Marktbedingungen seit dem Kriegsende 1945 – ohne Großkunden wie das Militär und ohne Regierungssubventionen – gegenüber dem Gründungsjahr 1941 radikal zu einem zivilen Konsumentenmarkt verändert.

Lieferung und Montage eines Packaged House (c) American Institute of Architects, California Chapter

Lieferung und Montage eines Packaged House (c) American Institute of Architects, California Chapter

So standen steigende Entwicklungskosten rasch sinkenden Marktchancen gegenüber. Eine unmittelbare Konsequenz war der geringe Output: In den zehn Jahren ihrer Existenz konnte die General Panel Corporation kaum 200 Häuser verkaufen und liefern. Dem ging aber eine Kapitalinvestition (teilweise als öffentliche Subvention) von sechs Millionen Dollar voraus, die fast zur Gänze für die technische Entwicklung und einen neuen Fabriksbau in Kalifornien statt für die eigentliche Produktion verbraucht worden war. Wachsmanns Perfektionismus, dessen stetiger Verbesserungsdrang eine endgültige Serienfertigung in hohen Stückzahlen ständig verzögerte, sowie kaum vorhandenes Marketing und die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Häuser, die letztlich nicht viel billiger waren als konventionell gebaute, aber trotzdem den „Makel“ eines Retortenprodukts trugen, waren weitere Faktoren des Niedergangs.

Knoten des Systems der General Panel Corporation (c) Gilbert Herbert, The Dream of the Factory-Made House, 1984

Knoten des Systems der General Panel Corporation (c) Gilbert Herbert, The Dream of the Factory-Made House, 1984

Dazu kamen fehlende Finanzierungsmodelle für die Kunden und regional sehr unterschiedliche Bauordnungen, die eine überregionale und vollständige Standardisierung von Wohnhäusern schon grundsätzlich erschwerten. Das anpassungsfähigere traditionelle Baugewerbe konnte hingegen die große Nachfrage am Markt durch preiswerte, stärker individualisierte, günstig finanzierbare und technisch traditionelle Lösungen überall leicht befriedigen.

Vintage Airstream Trailer Park (c) Wiki Commons

Vintage Airstream Trailer Park (c) Wiki Commons

Komplett industriell hergestellte Wohnungen wurden bald in einem ganz anderen Kontext erfolgreich realisiert – nämlich im neuen Typ des Mobile Home, der in der zunehmend mobilen Konsumgesellschaft immer attraktiver wurde. Ohne große Entwicklungskosten konnte diese Produktion mühelos aus der bestehenden Autoindustrie entwickelt werden. Diese Wendung einer technisch avancierten freien Marktwirtschaft hatte die europäische Avantgarde – obwohl sie den „Taylorismus“ der Autoindustrie rhetorisch stets als vorbildlich pries – auch wegen ihrer idealistischen Sozialisierung kaum vorhersehen können.

Für die Idee industriell hergestellter ortsfester Wohnhäuser entstand letztlich in einer Nischensituation der Nachkriegswirtschaft doch noch ein typischer, auch heute noch relevanter Markt samt passender Technologie: die konventionelle Fertighausindustrie ohne die hohen technologischen Ansprüche der General Panel Corporation. Abseits aller weltanschaulichen Visionen und um den Preis des Verzichts auf sozialreformerische Ansprüche, radikale technische Innovation sowie einen „ästhetischen Wandel“ konnte sich eine pragmatische Auffassung industrieller Vorfertigung etablieren: In Märkten von Schwellenländern und weniger anspruchsvollen Marktsegmenten von Industrieländern war und ist diese Strategie unter Nutzung und Weiterentwicklung vorhandener Vorfertigungstechnologien sowie mit dem Antrieb großer Kapitalreserven durchaus erfolgreich.

Vorgefertigtes amerikanisches Wohnhaus in den Niederlanden, 1921 (c) Wiki Commons

Vorgefertigtes amerikanisches Wohnhaus in den Niederlanden, 1921 (c) Wiki Commons

Das bewiesen nach 1945 nicht nur die staatlich geförderten Plattenbaukonzepte im sozialistischen Ostblock und im sozialdemokratischen Westeuropa, sondern auch einige US-Beispiele, unter denen etwa Nelson Rockefellers International Basic Economy Corporation (IBEC) besonders erfolgreich war. Dieses Unternehmen baute in den 1950er Jahren in großem Stil vorgefertigte Wohnhäuser auf Puerto Rico. Die ersten Entwürfe auf Basis von Betonfertigteilen wurden vom österreichischen Exilarchitekten Simon Schmiderer in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Armando Vivoni entwickelt. Eine zweite Phase brachte dann Ortbetonhäuser, die komplett in eine einzige wiederverwendbare Schalung gegossen wurden. Da für diese Methode kaum Entwicklungskosten anfielen und da vom Bauträger auch äußerst günstige Finanzierungsmodelle für die Kunden angeboten sowie die Häuser nur stückweise auf Bestellung eines hungrigen Marktes gebaut wurden, entwickelte sich das Projekt zum wirtschaftlichen Erfolg: Im Gegensatz zur General Panel Corporation konnte die IBEC mit guter Marktkenntnis, bewährten Finanzierungsinstrumenten und pragmatischen Technologien reüssieren.

International Basic Economy Corporation - IBEC, Haustypen für Puerto Rico (c) IBEC, Archiv MB

International Basic Economy Corporation - IBEC, Haustypen für Puerto Rico (c) IBEC, Archiv MB

Die nächste Folge unserer Serie über die Industrialisierung des Bauens befasst sich mit der Wirkung Konrad Wachsmanns in Österreich und Mitteleuropa.

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